„Mit der Mode ist es wie mit einer Beziehung“

  /  24.04.2013

Wolfgang Joop ist neben der Arbeit für sein eigenes Label zudem als kreativer Berater des Design-Teams der Eigenmarken Manguun, Manguun Collection und Mark Adam New York von Galeria Kaufhof zuständig. Im Interview mit dem Designer geht es aber auch um die „Last Days of Disco“, Grunge und Attitüden.

Wolfgang Joop

Wolfgang Joop mit den Redakteurinnen Lara Schotten (li.) und Kristina Arens

Herr Joop, seit über zwei Jahren sind Sie konzeptioneller Kreativberater von Galeria Kaufhof – warum sind Sie ausgesucht worden und nicht einer Ihrer deutschen Kollegen?

„Ich habe nie gefragt, bei wem man sonst noch angeklopft hat und von wem Galeria Kaufhof einen Korb bekommen hat; es wird behauptet, ich sei der Wunschkandidat gewesen (lacht). Ursprünglich hatten wir ‚Dinosaurier’ aus der alten Garde der Designer eine Hochnäsigkeit dem Departmentstore gegenüber, wir lebten ja noch in der Boutiquen-/Einzelhandelswelt. Ich habe also schon kurz gezögert als die Anfrage kam, war feige und habe einem Freund gesagt ‚Wimmel mir die mal ab’. Dann hat dieser sich allerdings verquatscht und war geradezu ‚besotted’, wie man im Englischen sagt. Dem wahnsinnig charmanten Team konnte auch ich mich schließlich schon als Mann einfach nicht entziehen (lacht).“

Und wie läuft die Zusammenarbeit ab?

„Den Launch haben wir damals ja mit einer wahren ‚Schaufenster-Orgie’ gefeiert, einer Frühlingsorgie à la ‚Alice im Wonderland’. Wir machen nicht auf Boutique, sondern sind ein ‚Warentempel’ in den besten Lagen der Städte. Das ist mir erst klar geworden als ich damals über die Anfrage nachdachte: 4 Mio. Kunden rasen jeden Tag durch die Stores und jeder Künstler möchte schließlich, dass alle seine Kunst anschauen, jeder Autor, dass der Roman ein Bestseller wird und jeder Sänger, dass alle den Popsong singen können. Mir als Designer wird mit der Arbeit für Galeria Kaufhof nun also eine Eitelkeit befriedigt, die mir das High End nicht befriedigen konnte.“

Apropos High End, wie vereinen Sie ihre Arbeit mit Galeria Kaufhof und Ihrem Label Wunderkind?

„Ich stehe total hinter Galeria Kaufhof und fühle mich überhaupt nicht wie ein Testimonial wie ein Dieter Bohlen oder eine Verona Pooth. Etwas in dieser Richtung würde ich auch nicht tun, da ich eben gleichzeitig international im High End-Bereich arbeite. In Deutschland gibt es nicht genug Kunden, um Wunderkind am Leben zu erhalten, da brauche ich den globalen Markt und muss Kunden von Schweden bis Kubai bedienen. Meine Arbeit für Kaufhof und Wunderkind stehen aber nicht im Kontrast, sondern komplettieren sich.“

Ihre Bezeichnung bei Kaufhof lautet „Konzeptioneller Kreativberater“ – geht die Beratung auch über die Optik hinaus?

„Neben der Optik müssen wir natürlich noch andere Bereiche bedenken. Wir unterhalten uns sehr viel über das Thema Nachhaltigkeit und haben Gott sei Dank Fair Trading-Organisationen wie die International Society for Compliance Identity mit im Boot. Ich will das jetzt gar nicht so moralisch aufhängen, aber ein Coolness-Faktor kann nur dann moralisch aufrechterhalten werden, wenn die Kollektionen auch cool sind. Und cool heißt auch, dass die Ware anständig produziert wird.“

Wenn ich hier kurz einhaken darf – wo wird denn produziert?

„Wir produzieren schon auch in China und Indien, aber ich habe kürzlich noch die Sendung ‚Plusminus’ gesehen, dass es beispielsweise Fabriken in Städten wie Banglador gibt, wo gesundheitsschädliche Grenzwerte weit überschritten werden, wo es keine Gewerkschaft gibt – ich möchte die Marke, die dort produziert, jetzt nicht nennen. Ich trage auch günstige Sachen wie dieses kleine Armband, das ich für den Valentinstag gemacht habe und nicht mehr ablege. Aber wir wissen ganz genau, dass die Leute anständig bezahlt wurden und dass das Material in Ordnung ist. Es ist extrem wichtig, dass wir dem Bedürfnis der Konsumenten gerecht werden, die immer mehr danach fragen, wie moralisch vertretbar ein Produkt ist.

Teilweise sind wir ja regelrechten Waren-Tsunamis ausgesetzt, denen man sich kaum entziehen kann. Als ich in Paris war und mir angeschaut habe, was die Kollegen so machen, habe ich mich häufig gefragt, ob bei den Schauen wirklich so viele Klamotten gezeigt werden müssen? Warum muss denn eine Show 5 Mio. Euro kosten – wer braucht das eigentlich?!“

Sie wollen also nicht mit Masse überzeugen, sondern?

„Wir leben in einem Überangebot von Waren; früher hat einen mit Freude erfüllt, shoppen zu gehen, sich etwas Neues anzugucken, heute ist es oft beinahe wie eine Belästigung. Das liegt daran, dass viele nicht mehr in der Lage sind, die Leute zu überraschen. Man muss in den Shops ein Erlebnis schaffen. Es ist ein großes psychologisches Kunstwerk, die Wünsche der Kunden nicht nur zu erfüllen, sondern sie zu übertreffen und ein bekanntes Thema immer wieder anders zu interpretieren – wie in der menschlichen Beziehung: Sex macht man mit dem Fremden, Vertrauen braucht man für die Liebe. Man braucht das Fremde, um sich anziehen zu lassen, aber genauso das Vertraute, um weiterzugehen.“

Wovon lassen Sie sich denn inspirieren? Gehen Sie auch auf Messen?

„Ehrlich gesagt bin ich noch nie auf einer Messe gewesen. Früher war ich mal auf Stoffmessen wie der Interstoff, aber mittlerweile habe ich Scouts dafür. Und die meisten Prints entwerfe ich selber, entweder zeichne ich sie oder wir entwickeln sie am Computer, dabei lasse ich mich irgendwie von allem inspirieren.

Und grundsätzlich mag ich komischerweise nichts, was auf den Körper maßgeschneidert aussieht; ein Körper muss sich verändern dürfen. Ich finde nichts unangenehmer als viele Frauen auf den Red Carpets, die aussehen als sei die Mode stehen geblieben, als hätten ihre Großmütter ebenso dort gestanden – mit diesem aufgesteckten Haar und eingezogenem Bauch. Wenn die Damen wüssten, wie grotesk das in den Augen eines Menschen aussieht, der eine ganz andere Moderevolution hinter sich hat.“

Die da wäre?

„Meine Generation fand immer das nicht Arrivierte wichtig, das nicht sozial Festzumachende; die Armen und die Reichen, die Adligen, die Studenten, die Gebildeten und die Ungebildeten sind alle durcheinander in die Disco gerannt, bis dem Ganzen irgendwann durch eine für mich grauenvolle politische Korrektheit ein Ende gemacht wurde. Das habe ich New York miterlebt. Die ‚Last Days of Disco’ wichen auf einmal einem Karriere-Stress, der sich bis heute nicht abgebaut hat. Wenn man sich deutsche Filme wie die von Til Schweiger anschaut, sind alle Frauen irgendwie ‚weggetreten’, trotzig und diskutieren ihren G-Point, während die Jungs alle zu doof zu allem sind – ich weiß nicht, was daran komisch sein soll.“

Sie sprachen gerade von „Ihrer Generation“: In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Ihr Herz schlage für die Generation Grunge – gerade in Berlin eine immer stärker werdende Stilrichtung, oder?

„Berlin hat einfach dieses Gesicht, dafür kann im Prinzip keiner was (lacht). In Berlin kann man diesen modischen Look immer wieder abrufen, den Style des Berghains (Anm. d. Red.: Techno-Club in Berlin) – rauf und runter – aber der Stil des Berghains war auch schon vor dem Berghain da. Ich hab in den 80er Jahren an der Universität der Künste unterrichtet und auch zu dieser Zeit war Grunge bereits in allen Clubs vertreten. In anderen Städten sieht das völlig anders und zum Teil überraschend neu aus. Wenn ich mir anschaue, was Hedi Slimane bei Saint Laurent veranstaltet und damit das Etepetete-Modevolk total erregt hat – für was für einen Aufruhr er kürzlich mit seiner Kollektion im Grunge-Stil gesorgt hat. Wenn wir merken, dass ein etablierter Etepetismus auf einmal nicht mehr funktioniert, dann wird man immer wieder in diesen Stil abrutschen und sagen: ‚Ich bin revolutionär – I don’t give a shit’. Diese Attitüde, die Kate Moss heute noch zum Supermodel macht, finde ich immer schicker als dieses ganze ‚Ritch Bitch-Getue’, das eine Paris Hilton bekannt gemacht hat.

Kommen wir in der letzten Frage zu Ihrer Attitüde – im Jahr 2001 haben Sie mal gesagt: „Die Leute fanden mich unberechenbar, mit mir könne man nicht kalkulieren, ich sei provokant, politisch inkorrekt und nicht einzuordnen.“ Wie sehen Sie das heute?

„Ich glaube, dass ich diesen Eindruck aus einem einfachen Grund aufrechterhalten sollte: Man braucht wie in der Mode immer einen Überraschungsfaktor, etwas, von dem andere glauben, es gerade für sich selbst neu entdeckt zu haben und das ist genau der Punkt – jeder denkt immer noch, die sympathische Seite an mir gerade als erstes entdeckt zu haben (lacht).“

Vielen Dank für das Interview!

Kristina Arens / Lara Schotten