„Mode kann einem nicht egal sein“

  /  16.11.2011

Die Jungs sind „Hamma!“. Beim Interview erklärten Reedoo und DJ Chino von Culcha Candela, wie sie bei Media Markt ihr Selbstbewusstsein pushen, auf welchen Typ Frau sie stehen und dass man sich, nur weil man in Berlin-Mitte wohnt, nicht auch so kleiden muss.

v.li.: DJ Chino und Reedoo

v.li.: Reedoo und DJ Chino

Reedoo und DJ Chino mit Redakteurin Kristina Arens

Seit ihnen 2007 mit „Hamma!“ der endgültige Durchbruch gelang, haben sich Culcha Candela dauerhaft in der deutschen Musikszene etabliert. Gerade ist ihre neue Single „Hungry Eyes“ erschienen, am 25. November 2011 folgt bereits das fünfte Album. In den Universal-Studios in Berlin erklärten Reedoo und DJ Chino beim Interview die ein oder andere pikante Songzeile ihrer neuen Platte, gaben Einblicke in ihr Beuteschema, was die Damenwahl betrifft und erläuterten, wie wichtig ihnen Mode ist.

Euer neues Album trägt – ebenso wie der Opener-Song –  den Titel „Flätrate“. Warum dieser Name und wie ernst meint ihr den Inhalt des Liedes?

DJ Chino: „Mit ‚Flätrate’ – mit ä zur Suchmaschinenoptimierung – haben wir versucht, das aktuelle weltweite Konsumverhalten in unserer Gesellschaft zu beleuchten und das alles in ein punkiges, rockiges Gewand zu pressen. Man könnte jetzt natürlich allen den Spaß verderben und sagen, dass der Song augenzwinkernd gemeint ist, das mache ich natürlich nicht. Die Interpretation beziehungsweise wie ernst man den Song nimmt, bleibt jedem selbst überlassen.“

Reedoo: „Außerdem bringen wir gerade so viel Musik heraus, dass es sozusagen eine Flatrate für unsere Fans ist. Zudem ist der Titel eine Art Weiterführung von ‚Schöne neue Welt’. Wenn man unsere aktuelle Welt auf ein Wort herunter skizziert, trifft es Flatrate, glaube ich, ganz gut.“

Wie sieht’s mit dem Song „Wildes Ding“ aus? Basiert das Lied auf Wünschen, persönlichen Erfahrungen oder was sind die Hintergründe von Zeilen wie „Sie säuft mich ständig untern Tisch, immer auf ex, ex, ex, auf ihrem Hintern stand gestochen scharf Sex, Sex, Sex“?


Reedoo: „Der Song basiert zunächst einmal auf dem latent berühmten, amerikanischen Lied ‚Wild thing’, das wir aber in ein modernes, dem Jahr 2011 entsprechendes Gewand gepackt haben.“

DJ Chino: „Es wurden schon ein paar autobiografische Elemente verarbeitet, es geht eben um die Assoziationen, die man heutzutage hat, wenn man an eine ‚wilde Braut’ denkt und darum, was ein Mann sucht, wenn er ein ‚wildes Ding’ haben möchte.“

Reedoo: „Und wenn man zu sechst ist und sich einigen muss, was das für Dinge sind, die man sucht, wird es natürlich kompliziert. Deshalb skizzieren wir auch drei ‚wilde Dinger’.“

In „Verdammt guter Tag“ geht es um einen Menschen, dessen Tag eigentlich alles andere als gut läuft, der sich davon seine Laune aber nicht verderben lässt. Was macht denn für euch einen verdammt guten Tag aus?

DJ Chino: „Schwer zu sagen, da gibt es konkret keinen Plan oder Ablauf, aber wir sind alles Typen, die ähnlich durchs Leben gehen wie die Person im Song. Es können einem so viele nervige Dinge passieren, aber wenn man die richtige Grundeinstellung hat, ist man dagegen fast immun und kann mit einem Lächeln darüber hinweg sehen.“

Reedoo: „Genau! Wenn man sich ausschließlich mit Tagespolitik befassen würde, dann kann man eigentlich nur weinen. Aber die Leute, die eben eine positive Grundeinstellung haben und wissen, dass man manche Dinge nicht auf einen Schlag ändern, in kleinen Schritten aber durchaus auch etwas erreichen kann, sind auf dem Weg in eine sonnige Zukunft.“

Ab März 2012 seid ihr auf Tour – sechs Männer auf einem Haufen, gibt es bei euch bestimmte Reibungspunkte oder Marotten der anderen, die ihr gar nicht abkönnt?


Reedoo: „Man gewöhnt sich an alles. Aber klar, wenn man einfach mal seine Ruhe haben möchte, was mit zehn, fünfzehn Leuten im Tourbus doch etwas schwierig ist, erfordert das ganz schön viel Selbstdisziplin und manchmal gibt es schon Auseinandersetzungen. Aber eine Tour mit Live-Konzerten ist für uns das Wichtigste, wir haben unglaublich viel Spaß daran, uns auf der Bühne richtig zu verausgaben und deshalb kann man ein Leben im Tourbus dann auch mal ganz gut ertragen.“

DJ Chino: „Wir haben uns bis jetzt glücklicherweise auch noch nie wegen einer Frau gestritten. Dafür sind unsere Beuteschemata viel zu unterschiedlich.“

Das müsst ihr jetzt schon noch ein wenig ausführen – was sind denn eure Beuteschemata?

Reedoo: „Der eine steht auf Glamrock, der andere legt Wert auf eine Prise südländische Brunft, wieder ein anderer mag es bieder. Der eine sehnt sich nach einer Familie, der andere will sich austoben.“

Welches Schema nun zu wem gehört, wollten die Jungs dann leider nicht verraten.

Damit habt ihr ja indirekt auch schon beantwortet, welche Kleidungsstile ihr präferiert – wie sieht’s bei euch selbst aus? Welche Rolle spielt Mode für euch persönlich?

DJ Chino: „Ich denke, man kann sagen, dass wir eine sehr modebewusste Band sind und wenn jemand sagt, Kleidung sei ihm völlig egal, kann das eigentlich nicht sein, weil man genau damit eben auch ein Statement setzt – in dem man zum Beispiel den ‚Schluffi-Look’ zelebriert. Was unsere Bühnenoutfits betrifft, arbeiten wir mit einer tollen Stylistin zusammen, aber auch privat sind wir durchaus modeinteressiert.“

Ihr lebt ja alle in Berlin, wie steht ihr zum typischen, vielleicht auch klischeehaften Berliner Look – skinny Jeans, weite Shirts und Jacken, leicht nerdy, Jutebeutel?

DJ Chino: „Ich finde es immer etwas schwierig, wenn man sieht, dass sich jemand gewollt speziell anzieht, da fehlt oft einfach die Authentizität. Man sollte nie verkleidet aussehen; das, was man trägt, muss zu einem passen, das ist leider häufig, auch in Berlin, nicht der Fall. Und mir ist generell aufgefallen, dass Trends mittlerweile nicht mehr unbedingt auf eine Stadt beschränkt sind, sondern dass es bestimmte Mode-Attitüden weltweit gibt. Der Emo sieht in Madrid wahrscheinlich genauso aus wie hier und der Hippster in New York kleidet sich wie der in London.“

Reedoo: „Individuell sind eigentlich die Menschen, die einem nicht auffallen. Jeder, der einem ins Auge sticht, ordnet sich meist einem bestimmten Modeschema zu, ahmt einen Trend aus einem Magazin nach oder denkt, weil er jetzt in Berlin-Mitte lebt, müsse er sich auf einmal auch dementsprechend kleiden.“

Trifft man euch in Berlin denn auch mal beim Shoppen? Oder werdet ihr dafür zu oft erkannt?


Reedoo: „Am Hackeschen Markt kann man sehr gut mal shoppen gehen und immer wieder neue Geschäfte entdecken. Besonders in Berlin-Mitte ist es praktisch, dass die Leute meist viel zu cool sind, um uns anzusprechen, wenn sie uns erkennen.“

DJ Chino: „In anderen Situationen ist das hingegen anders, zum Beispiel bei Media Markt. Da kann man super sein Selbstbewusstsein pushen: einfach hingehen und sich erkennen lassen (lacht).“

Reedoo: „Bei Media Markt habe ich mal Cds durchgeguckt, nach und nach hat sich eine Traube von Menschen um mich versammelt und ich habe überhaupt nicht gecheckt, was los ist. Dann ist mir aufgefallen, dass wir drei Wochen später eine Autogrammstunde dort geben sollten und einen Gang weiter ein riesiger Pappaufsteller mit meinem Gesicht stand. Da dachte wohl der ein oder andere, die Autogrammstunde sei vorverlegt worden (lacht).“

Wenn ihr noch einmal zusammenfassen solltet: Culcha Candela vor rund zehn Jahren und heute?


Reedoo: „Ich glaube, wir haben uns generell sehr weiterentwickelt. Einerseits sind wir immer wir selbst geblieben – nur sind wir jetzt wahrscheinlich wesentlich disziplinierter –, andererseits haben wir uns im Laufe der Zeit einfach in dieses Berufsfeld reingearbeitet, haben viel Leergeld bezahlt, sind aber dran geblieben, haben sehr viel gearbeitet und werden gerade auch dafür belohnt.“

Fällt es euch nicht schwer, nicht abzuheben?


DJ Chino: „Bei uns kam der Erfolg ja nicht unbedingt von jetzt auf gleich, sondern Stück für Stück. Als wir damals mit ‚Hamma!’ den endgültigen Durchbruch hatten, waren wir bereits fünf Jahre im Geschäft und hatten den Fuß schon mal im Haifischbecken (lacht). Da wir mehrere Jungs sind, können wir uns auch ganz gut gegenseitig Halt geben und aufpassen, dass der ein oder andere nicht doch abhebt.

Reedoo: „Den Erfolg von ‚Hamma!’ habe ich in erster Linie als die Belohnung für lange Jahre harte Arbeit wahrgenommen. Es bestand eigentlich gar nicht die Gefahr, abzuheben, es war eher eine befriedigende Stille. Ich habe als erstes meine Eltern angerufen und ihnen gesagt: ‚Ich weiß, ihr habt keine Ahnung davon, aber ihr könnt mir jetzt mal gratulieren. ‚Hamma! ist auf Platz 1 in die Charts eingestiegen’.“

Abgesehen vom Album Release, der Tour ab März 2012 und dem folgenden Festival-Sommer – habt ihr sonstige Pläne, Ziele oder Wünsche?

Reedoo: „Ich würde gerne wieder mehr international auftreten. Das haben wir eine Zeit lang recht häufig gemacht, allerdings immer auf einem Niveau, das dem in Deutschland nicht gerecht werden kann. Man fängt im Grunde wieder bei Null an und mit deutschsprachigen Texten ist es im Ausland natürlich immer etwas schwieriger, aber man sammelt so viele Erfahrungen, auch wenn es sich kommerziell vielleicht nicht auszahlt. Ich war zum Beispiel nach meinem Schulabschluss auf Weltreise, unter anderem in Honduras und habe mir dort als junger Hüpfer die Hörner abgestoßen und Party gemacht. Acht Jahre später sind wir genau an dem Ort gelandet, um ein Konzert für die Deutsche Botschaft zu geben, verrückt!“

DJ Chino: „Das Reisen ist mit einer der besten Aspekte an unserem Job, es ist eine unheimliche Bereicherung und eine super Schule, die man immer mal wieder besuchen darf. Also wir freuen uns jetzt erstmal auf die nächsten anstehenden Konzerte und Festivals und dann sehen wir weiter.“

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!

Kristina Arens