„Ich finde das Leben auch so spannend genug…“

  /  12.01.2016

Die Verfilmung des Romans „Die dunkle Seite des Mondes“ startet am 14. Januar 2016 in den Kinos – mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle. Er und Autor Martin Suter sprechen im Interview über Gut und Böse, Stillstand, Matthias Schweighöfer und Ansprüche an sich selbst.

Moritz Bleibtreu; Martin Suter

Redakteurin Kristina Arens mit Moritz Bleibtreu

Die Protagonisten in Martin Suters Romanen haben häufig mit Identitätskrisen zu kämpfen, so auch in „Die dunkle Seite des Mondes“, der zu seinen bislang erfolgreichsten zählt und jetzt verfilmt wurde – mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle des erfolgreichen Wirtschaftsanwalts Urs Blank, der nach dem Konsum psychedelischer Pilze die Kontrolle über sich selbst mehr und mehr verliert... Im Interview verrät Bleibtreu, warum in jedem Menschen eine gewalttätige Seite schlummert, wieso man den Protagonisten des Films dennoch mag und warum das Schauspieler-Leben heute ein ganz anderes ist als früher, während Suter erklärt, wie sich seine Figuren manchmal selbstständig machen und was der Anspruch an sich selbst ist.

Moritz, im Film bekommst du in einer Szene ein Messer überreicht, auf dem die Worte „Never hesitate“ zu lesen sind. Wäre das auch ein Motto für dich?

„Im Gegenteil, meines wäre eher ‚Always hesitate’. Ich war immer ein eher vorsichtiger Mensch, schon als Kind habe ich immer zuerst geschaut, was die anderen machen, bin nie ohne nachzudenken von Bäumen gesprungen oder so… Das Vorsichtige habe ich auch heute nicht abgelegt.“

Also gibt es auch keine wilde Pilz-Geschichte von dir?


„Ich habe schon mal Pilze genommen, aber natürlich auch total feiglingsmäßig viel zu wenige. Im Endeffekt war’s ganz lustig, ähnlich wie wenn man zum ersten Mal kifft, aber mir wurde sofort in dem Moment klar: Wenn das jetzt doller wäre… Das ist nichts für mich, ich fühle mich im Hier und Jetzt sehr wohl und ich finde das alles auch so spannend genug. Das ist für mich wie Bungeespringen; ich habe diese Neugierde irgendwie nicht, sondern eher Schiss…“

Du hast in einem Interview gesagt, dass diese gewalttätige Seite, die Urs Blank im Film an sich entdeckt, in uns allen schlummert, wie kommst du darauf?


„Das liegt in dem Lebenserhaltungstrieb begründet. Wenn dir jemand an dein Leben geht oder an das deiner Familie, wirst du das verteidigen – und ich glaube, zur Not in ganzer Konsequenz. Auf der anderen Seite kommt Prägung dazu, durch die Gesellschaft, die Eltern… Ich bin selbst Papa; Kinder hören oft nicht, sondern sehen das, was du tust und wenn du eine bestimmte Gangart vorgibst, werden sie dir folgen. Ich bin ein sehr temperamentvoller Mensch, habe früher auch so etwas wie Jähzorn gekannt, aber die Art und Weise, wie man mit Gewalt umgeht, ist ganz stark den Eltern geschuldet. Sicherlich ist die Erziehung nicht alleine für die Persönlichkeit verantwortlich, aber gerade wenn es um ein Wertesystem geht oder das Bewahren moralischer Instanzen oder Hemmschwellen, sind eben die Eltern gefragt. Und wenn man sich die Grundsatzfrage stellt ‚Sind die Menschen von Natur aus gut oder schlecht?’ Sie sind gut.“ 

Dann muss Urs Blank ja eine furchtbare Kindheit gehabt haben, oder?


„Ich sehe ihn eher als einen klassischen Fisch, der einfach so durchgeschwommen ist. Er hat immer alles gehabt, die Eltern waren wahrscheinlich eher etwas distanziert, aber trotzdem immer da, auch wenn er vielleicht wenig körperliche Zuneigung bekommen hat. Schließlich hat er es zu Wohlstand gebracht und ist mit den ganzen Dingen, mit denen man sich dann so ablenken kann, nie an einen Punkt geraten, an dem er sich selbst hätte hinterfragen müssen. Erst als sich jemand vor seinen Augen umbringt, wird er schlagartig damit konfrontiert, dass sein Verhalten, das er seit Jahren an den Tag legt, tatsächlich Konsequenzen haben kann.“

Eigentlich darf man bei all seinen schlimmen Taten nicht mit Urs Blank sympathisieren, tut es zwischenzeitlich aber doch, warum?


„Genau das war meine Hauptaufgabenstellung: Wenn man eigentlich einen Antihelden hat, der vor den Augen der Zuschauer komplett bricht, aber quasi der Held des Films ist, wäre es natürlich schlecht, wenn man ihn nach 30 Minuten nicht mehr sehen wollen würde. Die zwischenzeitliche Sympathie oder das Mitgefühl haben wir dadurch ganz gut hinbekommen, dass er immer direkt registriert, was er getan hat; er macht etwas Schlimmes und bereut es direkt. Im Roman ist das ja etwas anders, so hätte es auf der Leinwand nicht funktioniert.“

In einer Szene wird „auf den Stillstand“ angestoßen – gab es in deinem Leben schon einmal Stillstand-Phasen?


„Nie! Das kann ich mir bei mir auch schwer vorstellen, ich habe so viel Leidenschaft für so viele Dinge und finde immer irgendetwas, an dem ich Freude entwickeln kann.“

Wie fürs Theater spielen, mit dem deine Schauspielkarriere den Anfang nahm…


„Genau, wobei das Schauspieler-Leben heute ein ganz anderes ist. Jemand, der heute Schauspieler werden möchte, ist beeinflusst von Leuten wie Elyas [M’Barek], von Matze [Matthias Schweighöfer] etc. und da spielen diese ganzen Parameter eine Rolle, die es in meiner Jugend gar nicht gab: Berühmtheit, Geld… Ich bin ein klassisches Theaterkind und erfolgreich zu sein, war in den 80er Jahren eher uncool als cool. Es ging um die Liebe zum Spielen und um die Auseinandersetzung mit Sprache, davon bin ich bis heute geprägt. Ich habe diese Vorbilder gar nicht gehabt. Das Schauspieler-Leben, für das ich mich damals entschieden habe, wäre ich auch jetzt noch jederzeit bereit, wieder zu leben.“


Herr Suter, Sie haben vor der Verfilmung Ihres Romans nicht einmal das Drehbuch gekannt, stimmt das? Fiel es Ihnen nicht schwer, Ihr Werk komplett in andere Hände zu geben?


„Das stimmt und nein, das fällt mir generell gar nicht schwer. Tatsächlich habe ich sogar erst erfahren, dass das Buch verfilmt wird, als der Dreh schon fast fertig war (lacht). Würde mir das Resultat nicht gefallen, würde ich mich natürlich ärgern, aber in diesem Fall bin ich sehr zufrieden!“

Dafür spricht, dass Sie nach ein paar Minuten des Films die Bilder der Personen, die Sie beim Schreiben im Kopf hatten, vergessen haben…


„Ich hatte schon eine konkrete Vorstellung, vor allem von Urs Blank, der für mich ein sehr klar definierter Charakter war, äußerlich hatte ich sogar ein Vorbild im Kopf. Deshalb trifft es vergessen vielleicht nicht ganz, aber ja, ich habe sie sofort akzeptiert.“ 

Wer war denn das Vorbild?


„Das verrate ich nicht.“

Nicholas Sparks hat mir mal gesagt, dass er als erste Entscheidung, wenn er ein neues Buch schreibt, meistens das Alter der Hauptakteure festlegt. Wie läuft der Prozess bei Ihnen?


„Ich habe immer zuerst eine Idee im Kopf, für die Geschichte muss ich mich dann bewusst hinsetzen und systematisch nach- und weiterdenken. Die Figuren folgen schließlich, sind anfangs aber immer noch etwas diffus. Bei ‚Allmen’ [Hauptfigur einer vierteiligen Krimiserie von Suter] habe ich mal aus allen vier Romanen vorgelesen und dabei erst gemerkt, dass er am Anfang immer an einer Zigarettenspitze kaut, um sich das Rauchen abzugewöhnen, das kommt danach aber nie wieder vor, das habe ich völlig vergessen (lacht). Die Entstehung der Charaktereigenschaften entsteht also im Laufe des Schreibens. Häufig ist es auch so, dass ich Figuren in mir selber finde... Man muss dann darauf achten, dass man schlechte Eigenschaften, die man für die Zeit des Schreibens verstärkt herauslässt, danach wieder verschließt.“ 

Also verschmilzt man manchmal auch mit seiner geschaffenen Figur?


„Nein, das nicht, man findet nur häufig Parallelen. Die Schwierigkeit ist eher, dass sich die Figuren manchmal zu selbstständig machen, je nach Lust und Laune haben sie plötzlich Hobbys, die man dann den ganzen Roman weiterverfolgen muss – oder sie aber vergisst, wie eben bei ‚Allmen’ (lacht).“

Sie haben mal gesagt, Sie schreiben ein neues Buch so, dass Sie nicht überlegen, warum sich das letzte gut verkauft hat, sondern sagen sich: „Ich darf mir jetzt auch mal einen Flop leisten.“?


„Man muss sich ein bisschen befreien, aber natürlich will ich an sich keinen Flop schreiben (lacht), vor allem darf es für mich persönlich keiner sein. Ich habe auch schon ein Buch geschrieben und es nicht veröffentlicht. Der Anspruch an mich selbst ist eigentlich immer, dass das nächste Buch besser wird als das letzte.“

Besten Dank für die Interviews und viel Erfolg weiterhin!

Kristina Arens