„Herr Schmelz, welchen Herausforderungen stellen Sie sich aktuell?“

  /  22.11.2023

Thilo Schmelz, Inhaber des Labels Harold’s in dritter Generation, spricht im Interview über Herausforderungen, Nachhaltigkeit und den Umgang mit Copycats…

Thilo Schmelz

„In einer Welt, die zunehmend rasanter wird, in der immer mehr Dinge entstehen und verschwinden, bauen wir Taschen, die bleiben“, sagt Thilo Schmelz, der seit 1999 Inhaber von Harold’s in dritter Generation ist die Marke stetig in Richtung Nachhaltigkeit führt. Im Interview verrät er, warum eine Balance zwischen Neuproduktion und Instandhaltung so wichtig ist, woran man bei dem Label derzeit arbeitet und was das Besondere an den „Companions for a lifetime“ ist.

1936 legte Nikolaus Schmelz den Grundstein für die Marke Harold‘s – seit 1999 wird das Label nun in dritter Generation geführt. Was waren die größten Herausforderungen in der langjährigen Markengeschichte?

„Ausgelöst durch die Ölkrise der 70er Jahre und die Politik der Bundesrepublik zur Auslagerung der Leichtindustrie die Umwandlung vom reinen Produktions- zum Handelsbetrieb im Verlauf der 70er und 80er Jahre. Zwei weitere Herausforderungen waren die Loslösung und Aufhebung der Abhängigkeit von Großkunden in den Jahren 2005 bis 2018 sowie die Umwandlung aller unserer mineralisch gegerbter Leder in 100% pflanzlich gegerbte Leder in den Jahren 2011 bis 2023.“

Das Erfolgsrezept von Harold‘s basiert auf der langjährigen Erfahrung mit hochwertigen Ledern und dem Traditionshandwerk. Inwieweit hat sich das Konsumentendenken geändert – wird Traditionshandwerk in einer Welt voller Fast Fashion wichtiger oder hat man es als Traditionsmarke eher schwerer?

„Vom Markt kennen wir, dass es zu jedem Trend ein Gegentrend gibt. In diesem Fall würde ich sogar von einer Haltung sprechen, denn ein Trend ist nur temporär. Es gibt Nischen, in denen Werte wie Handwerk, gutes Material und Nachhaltigkeit geschätzt wird. Aber es sind eben Nischen. Der zweite Punkt ist, dass es heute mehr bedarf, als nur ein gutes, sinnvolles Produkt herzustellen. Man muss es auch vermarkten können und sich in der Produkt-, Informations- und Bilderflut bemerkbar machen. Hierin liegt die besondere Schwierigkeit – zumindest für uns.“

Sie haben die semi-pflanzlich gegerbten Leder so weit wie möglich in 100% pflanzlich gegerbte Leder umgewandelt, die Baumwollgewebe in Bio- Baumwollgewebe, die verwendeten Häute sind „leftovers“. Welche Nachhaltigkeitsprozesse liegen noch vor Ihnen?

„Auf Materialebene beschäftigen wir uns derzeit mit metallfreien Farben, was wir bei einigen Ledern bereits realisiert haben. Die größere ökologische Herausforderung ist jedoch ein wirtschaftliches Konzept zu erstellen, welches auf einer energetischen Balance zwischen Neuproduktion und Instandhaltung basiert. Hierzu gehört auch, die Qualität weiter zu erhöhen, zu lernen, aus nicht mehr gebrauchten Gütern durch Transformation/Design neue Produkte zu schaffen. Ein weiterer Punkt ist die leichte Reparierbarkeit von möglichen Defekten und Verschleißstellen in den Design- und Produktionsprozess einzubeziehen. Um das Energieproblem zu lösen, müssen wir lernen, mehr mit dem vorhandenen Produktbestand auszukommen – nicht nur bei Taschen, sondern auch bei allem, was wir gebrauchen.“

Sie setzen bei den Bags vor allem auch auf Langlebigkeit. Seit 2011 nehmen Sie, unabhängig von gesetzlichen Garantieleistungen, jede Reparatur an. Nutzen die Konsumentinnen und Konsumenten dieses Versprechen?

„Ja, sie nutzen es. Wir reparieren etwa zur Hälfte Taschen, die sich in Garantieleistung befinden und zur anderen Hälfte Taschen, die nicht selten älter als 20 Jahre sind. Ich gehe aber davon aus, dass nicht alle reparatur-würdigen Taschen auch zur Reparatur gegeben werden. Wir reparieren darüber hinaus auch Modelle von anderen Herstellern. Wir haben in diesem Bereich über 60 Jahre Erfahrung und haben so ziemlich alles repariert, was mit Taschen zu tun hat. Nur bei Börsen fehlt uns noch die letzte Erfahrung, weil wir hier bis dato keine eigene Fertigung in Deutschland haben. Grundsätzlich nehmen wir jede Reparatur an, weil eine Tasche, die aus einem guten Material gefertigt ist, immer noch einen großen Wert hat, daran ändern auch ein ausgerissener Griff oder ein defekter Beschlag nichts. Ein weiterer Schritt wäre, ein kaputtes oder gebrauchtes Produkt – durch Hinzufügen oder auch Wegnehmen – in ein neues Produkt zu transformieren. Es gibt bereits solche Ansätze, aber das Entscheidende ist, dass diesen transformierten Produkten ein Wert entgegengebracht wird, der dem Wert von Neuprodukten entspricht oder sogar darüber hinausgeht.“

Passend zum Thema Reparatur und Langlebigkeit unterstützen Sie mit Harold’s den German Pavillon auf der Architekturbiennale 2023. Wie sieht das aus?


„Nun, der Beitrag lag in einer reinen Geldspende. Diese ging an die Zeitschrift Archplus, die u.a. den German Pavillon kuratiert. Wir sind überzeugt vom Konzept, dass wir eine neue Bewertung zwischen bestehenden und neuen Produkten benötigen, um zumindest zur Hälfte zu einer Subsistenz-Wirtschaft zu bewegen. Archplus geht dabei vom ‚World Overshoot Day‘ aus, der im Jahr 2022 auf den 28. Juli fiel. Wenn man alleine Deutschland betrachtet, lag er im Mai. Archplus zieht daraus zunächst die einfache Forderung, dass wir die bestehende Bausubstanz wesentlich länger nutzen müssen, weil Instandhaltung erheblich weniger Energie verbraucht als Neuproduktion. Die Publikation legt den Fokus jedoch nicht nur auf Reparatur und Transformation, sondern skizziert auch ein wirtschaftliches und soziales Konzept. Technische Innovationen zur Bewältigung der Energiekrise sind sicherlich notwendig, führen aber nur zu Teillösungen. Um das Problem des Energieverbrauchs zu lösen, müssen wir unser Bewertungsdenken ändern: Bestehendes muss hierzu gegenüber dem Neuen aufgewertet werden. Anders können wir nicht 50% oder mehr unseres derzeitigen Energieverbrauchs einsparen: Aus heutiger Sicht ist es sicherlich anti-kommerziell, aber Archplus liefert das erste überzeugende ganzheitliche Konzept zur Energieeinsparung. Damit ein Gebrauchsprodukt lange genutzt, instandgehalten, repariert und gepflegt werden kann, ist die Voraussetzung, dass es aus einem guten Material und in guter Qualität gefertigt wurde. Obwohl die Zeitschrift die Bauwirtschaft im Fokus hat, lässt sich das Konzept auf viele andere Produkte übertragen.“

Harold’s-Taschen soll sich zu jedem Anlass tragen lassen, mit der Zeit immer schöner werden und Geschichten erzählen. Welche war die schönste Geschichte, die Sie bislang gehört haben?

„Das ist nach wie vor die Geschichte des Weltenbummlers aus dem Jahr 1999 mit seiner Tasche, die ihn 15 Jahre lang auf seinen Reisen begleitet hatte. In den letzten Jahren gab es eine Reihe ähnlicher Geschichten. Sicher gibt es solche auch bei anderen Taschenherstellern, das besondere bei den Storys, die uns erreichen, ist aber, dass die Kunden stets die Substanz, Originalität und Lebendigkeit des Materials betonen – ‚Campanions for a lifetime‘ eben.“

Das Design und die Entwicklung sowie die Herstellung ausgesuchter Linien erfolgt in der eigenen Manufaktur in Obertshausen. Die Erfahrungen mit naturbelassenen Ledern legen Sie in die Hände langjähriger Partner in Indien und Kolumbien. Welche Learnings gab es über die Jahre?

„Dadurch, dass wir seit jeher alle Reparaturen ausgeführt haben, konnten wir uns ein großes Wissen erarbeiten, was alles durch Produktionsfehler, aber auch durch Gebrauch, Verschleiß und Co. kaputt gehen kann. Vor etwa 15 Jahren haben wir angefangen, systematisch jede Reparatur zu dokumentieren und die Ursachen herauszufinden. In der Folge haben wir sukzessive dieses Wissen in das Design und in die Produktion einfließen lassen.“

Harold’s wartet mit drei Linien auf: der Harold’s Concepts Kollektion, der Heritage Kollektion und der Contemporary Kollektion. Welche Neuheiten gibt es bzw. sind geplant?

„Wir erneuern in allen Linien etwa 15% der Taschen jährlich. D.h. andererseits ist die gesamte Harold’s-Kollektion eher eine Bestandskollektion, aus der man sich je nach Jahreszeit und Thema die geeigneten Modelle zusammengestellt. Wir sind seit jeher ein Lagerproduzent und haben die Taschen zu 80% stets verfügbar. Saisonkollektionen gibt es nur sehr selten. Im Moment zeichnet sich eine Tendenz ab, in der das Material mehr in den Fokus rückt, weniger eine formale oder graphische Gestaltungsidee, was vor rund 20 Jahren der Fall war. ‚Form follows material‘ könnte man sagen. Was die Taschenformen betrifft, sind unserer Beobachtung nach Taschen näher an den Körper gewandert und passen sich diesem in Form und Funktion mehr an. Dagegen hat das Objekthafte etwas an Bedeutung verloren. Fast verschwunden sind Businesstaschen, die noch 2019 über 30% unseres Umsatzes ausmachten – eine Folge der Corona-Politik.“

Mit Harold’s sind Sie auch auf Fachmessen wie der Innatex präsent. Welche Bedeutung haben diese Veranstaltungen für das Label?


„Prinzipiell haben Messen für uns eine große Bedeutung: Wir begreifen sie als Marktplatz. Dort tauscht man sich aus – mit Kunden und anderen Ausstellern, der Presse etc. Man kann dort gut feststellen, wo man als Firma steht. Man kann bestehende Kunden treffen, neue finden und bekommt ein komprimiertes Feedback für neue Produkte. Hinzu kommt noch, dass wir auf Haptik und Materialpräsenz besonderen Wert legen. Messen machen aber nur dann Sinn, wenn auch ein gutes Spektrum an Ausstellern und Kunden da ist. Das ist leider seit der Corona-Pandemie nicht mehr gegeben. Viele Aussteller kommen nicht mehr und damit kommen auch viele Kunden nicht mehr oder bleiben kürzer. Außerdem sind in der Zeit vor 2019 sehr viele Messen entstanden und die Kundenströme haben sich verzweigt.“

Auf Messen sieht man auch die Kollektionen anderer Brands – viele haben Angst vor Copycats. Das Harold’s Box-Design wurde schon einmal von Prada adaptiert. „Im Sinne eines guten DJs“ sei der Marke ein interessantes ‚Sample“ gelungen, man müsse davon ausgehen, dass fast jedes Design schon einmal realisiert worden sei, hieß es seitens Harold’s. Gibt es denn Anlässe, bei denen Sie klagen würden?

„Ich versuche in solchen Fällen mit den Leuten zu reden. Wenn eine Tasche wirklich originär in ihrer Ganzheit ist (also kein Taschenpattern, kein Sampling), insistiere ich darauf, dass die Tasche vom Markt genommen wird. Meist musste ich etwas hartnäckig bleiben. Eine Klage ziehe ich eher in Erwägung, wenn die Marke Harold’s kopiert wird. Da kam im den letzten 25 Jahren zweimal vor.

Im Falle des Box-Designs fand ich es gut, dass ein so großer Name fast das gleiche Design präsentiert hat. Neue Designs, neue Konzepte haben häufig das Problem, nicht oder von zu wenigen verstanden zu werden. Aufgrund der mangelhaften kollektiven Erfahrung mit einer neuen Form, kann es helfen, wenn ein großer Name das gleiche Design – wie auch immer sie dazu gekommen sind – publiziert. Es schafft Vertrauen und hilft Endverbrauchern, das Produkt besser beurteilen zu können. Das Problem in diesem spezifischen Fall ist nur, dass man da als kleiner Hersteller eher als Nachahmer eingeschätzt wird.“

Vielen Dank für das Interview! 

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