„Herr Herzig, welche Neuerungen gibt es bei Lovely Sisters?“

  /  20.11.2023

Jens Herzig, Geschäftsführer des jungen Womenswear-Labels Lovely Sisters, erklärt im Interview, wie sich die Marke entwickelt hat und wo es wie noch hingehen soll...

Jens Herzig

Während Mitbewerber und der Handel häufig noch die jüngere Kundin fokussieren, will das Womenswear-Label Lovely Sisters „die Frau mit Ecken, Kanten und Kurven“ ansprechen. Jens Herzig, Managing Partner und Geschäftsführender Gesellschafter der Grevener Habitu GmbH & Co. KG, spricht im Interview über die Markenentwicklung, Learnings und Zukunftspläne.

Sie haben Lovely Sisters vor rund zweieinhalb Jahren gegründet. Vor dem Hintergrund des heutigen Wissens mit den weiterhin sehr herausfordernden Zeiten: Hätten Sie mit dem Launch gewartet oder wären erst gar nicht gestartet oder war es trotz allem die richtige Zeit?


„Es war eindeutig die richtige Entscheidung, antizyklisch zu starten und das sage ich zu einem Zeipunkt, zu dem wir noch lange nicht über dem Berg sind. Ich kenne allerdings auch keine langjährig erfolgreichen Unternehmerpersönlichkeiten, die sich dadurch auszeichnen, stromlinienförmig immer das zu tun, was alle erwarten oder die ihr Unternehmen zu einem Zeitpunkt gegründet hätten, weil das seinerzeit alle so gemacht haben. Ich kenne viel mehr nur Gründer, die allesamt zuerst jahrelang gegen viele Wiederstände haben kämpfen müssen und sich anhören mussten, wie unerfolgreich alles werden wird. Diesen heute erfolgreichen Unternehmer(-innen) stand das Wasser in der Vergangenheit sozusagen oft mehrfach bis zum Hals, bis die ursprüngliche Geschäftsidee, am Ende gegen viele Wiederstände dennoch langsam erfolgreich wurde.

Deshalb arbeiten in den meisten Start-ups Marathonläufer und keine Sprinter. Die Verantwortung für eigene Fehler zu übernehmen und ggf. dafür zu bezahlen, bereit sein, Risiken einzugehen, permanent dazu lernen zu wollen und vor allem – praktisch immer einmal mehr aufzustehen, als hinzufallen – das hat etwas mit Charakter zu tun und da Krisen immer helfen, den wahren Charakter von Menschen zum Strahlen zu bringen, ist diese Zeit super! Es trennt sich die Spreu vom Weizen. Das merken wir in einer Art 360° Rundumschau in allen Gesprächen mit Händlern, Dienstleistern, Lieferanten, Mitarbeitern und Mitbewerbern. Die einen reden ohne etwas zu bewirken, vertrösten und warten ab, die anderen hören zu, trauen sich, unterstützen uns und ‚machen‘ einfach. Ich finde die aktuelle Phase deswegen so spannend und bereue gar nichts, weil wir bei lovely sisters ein Team sind und wir alle an die Marke glauben. Wir gehen unseren Weg. Jeder konnte sich einbringen und ausprobieren. Wir haben alle in kurzer zeit viel dazu gelernt, auch am Ende über uns selbst. In einer so besonderen Zeit macht uns das stärker und vielleicht ein bisschen widerstandsfähiger.“

Im letzten Jahr haben Sie einige Änderungen vorgenommen: Designswitch, Produktionsverlagerung, Überarbeitung des Webshops und der Social Media-Accounts. Erklären Sie uns gerne die Gründe und Details.

„Das ist schnell erklärt: In unserem ersten Jahr gab es viele Learnings, aus denen wir Konsequenzen gezogen haben. Wir mussten an manchen Stellschrauben drehen. Das haben wir getan: Der Designswitch war dringend nötig, weil wir zu spitz in der Kollektionsaussage waren. Die Drucke waren zu laut. Die Aussage zu ‚boutiquig‘, zu ‚gewollt‘, nicht kommerziell genug. Außerdem haben unsere Qualitäten nicht gestimmt. Seitdem das ehemalige Designteam von ‚talkabout‘ für lovely sisters arbeitet, ist eine kommerzielle und gleichzeitig sehr modische Handschrift zu erkennen, die nicht darauf aus ist, Frauen nach Alter, Passform oder Einkommen zu klassifizieren. Unsere Mode sitzt. Sie soll Freude bereiten. Wir haben uns auch in den Bereichen Beschaffung und Gradierung mit Persönlichkeiten verstärkt, die Kraft Herkunft und Historie wissen, worüber sie sprechen. Inzwischen besteht mehr als die Hälfte des Teams aus Menschen, die ausschließlich an unserem Produkt und dessen Qualität arbeiten. Ich denke auch, dass diese Priorität zeigt, wie sehr uns insbesondere die Themen Passform, Design und Qualität am Herzen liegen. Ein gutes Produkt wird sich im Zweifel immer alleine durchsetzen, während ein Spitzen-Vertrieb niemals ein schwaches Produkt dauerhaft wird stützen können. Das sage ich als Vertriebler im Herzen.

Teile der Produktion haben wir wieder nach Asien verlagern müssen, um unseren Kunden zum Teil mehr Qualität, aber insbesondere auch weiterhin die gewohnt kommerziellen Preislagen anbieten zu können. Wir wollten keine Preissteigerungen mit Energie- oder Lohnkosten begründen müssen. Auch wenn das im vergangenen Jahr eine beliebte, wenngleich aus meiner Sicht zu kurzfristig gedachte Strategie am Markt war, um die eigenen Marge auf Gedeih und Verderb zu erhalten.

Unsere Webshops und Social Media-Accounts überarbeiten wir permanent, da uns der Kontakt mit der Endkundin sehr wichtig ist und selbiger immer mehr an Bedeutung gewinnt. [...] Wir arbeiten ständig daran. Es gibt kein Ende. Kollektionsaussage, Preislagen, Passform, Qualität, Photos, Wortsprache, Bildsprache – es hängt alles zusammen. Wir sind humorvoll, authentisch, inspirierend und emotional – das macht uns aus und das soll in allem was wir tun auch für unsere Kundin erkennbar sein. Glücklicherweise haben wir inzwischen die richtigen Menschen zusammengebracht, die uns dabei helfen, unsere Vision umzusetzen – aber eins ist auch klar, es hört nie auf.“

Ein Fokus bei Lovely Sisters liegt auf dem D2C-Bereich. Was sind – für Sie bzw. Ihr Label – die Vor- und Nachteile dieses Vertriebswegs?

„Der Vorteil ist, dass wir von der Endverbraucherin unmittelbar über Kommentare, Retouren und Kaufverhalten viel schneller ein direktes Feedback erhalten. Das ist viel besser als zeitversetzt vom eigenen Vertrieb oder den Einkaufsverantwortlichen, eine zunächst gefilterte und dann noch zusammengefasste Info zu erhalten. Die Endverbraucherin ist da ziemlich undiplomatisch unterwegs. Wenn etwas gefällt, gut sitzt, der Preis ok ist und die Qualität stimmt, dann wird es gekauft. Wenn nicht, dann nicht – oder es wird zurückgeschickt.

Unsere Zielgruppe trägt auch keine Bewahrer-Mentalität in sich. So mancher Einkauf scheint das kontinuierliche Minus irgendeines historisch relevanten Mitbewerbers als berechenbarer anzusehen, als irgendein vermeintliches Risiko mit einer neuen Marke einzugehen, mit der man wohlmöglich in den nächsten 50 Jahren Erfolg haben könnte. So monochrom sehen dann auch unsere Innenstädte aus. [...] Das ist schade, gibt es doch so viele neue Möglichkeiten, modische Spannung zu erzeugen. Dafür muss auch nicht immer zwangsweise die Gastronomie ausgebaut und wahlweise Autos oder Fahrräder auf der ehemaligen Fashion-Fläche angeboten werden, um Einkaufserlegnisse zu schaffen.

Wir sind weder ein ‚Traditionsunternehmen‘, noch ein ‚Young Fashion-Label‘, wir sind nicht ‚Premium‘ oder ‚Exclusiv‘. Das heißt, wir müssen in erster Linie mit der Kollektion, mit unserer Story und der Marke lovely sisters überzeugen. Wir wünschen uns im Einkauf mehr Mut. Kein Start-up möchte zu Tode gelobt werden. Lippenbekenntnisse bringen niemanden weiter. Machen wäre schön.
 
Im Nahen Osten und in Osteuropa habe ich vor Jahren Marken mit internationalem Flair und Auftritten in Shopping Malls entdeckt, die ich jedoch nullkommanull kannte. Auf Anfrage habe ich die Info erhalten, dass es sich um Marken handelte, die zuerst aus Hinterhöfen via D2C regional groß geworden sind, anschließend eigene Monolabel-Stores aufmachten und erst zuletzt in den örtlichen Handel hineingewachsen sind. Also genau umgekehrt, als es hier in Deutschland seit den 1960er Jahren bis heute üblich ist. Wir scheinen – wenngleich nicht 1:1 vergleichbar – einen ähnlichen Weg zu gehen. Das war so nicht geplant, aber wir stellen uns darauf ein und nehmen es, wie es kommt.

Der Nachteil dieses Weges ist – er ist teuer und es dauert! Jede Endverbraucherin, die lovely sisters für sich entdeckt, ist ein Testimonial, eine Markenbotschafterin, die unsere Passform, unsere Qualitäten und unseren Modegrad zu schätzen weiß. Alle mögen unseren neutralen, internationalen und historisch unbelasteten Markennamen. Eine Tochter hat bei uns nicht das Gefühl, Fan der Marke ihrer Mutter zu werden zu müssen und umgekehrt. Diese Flexibilität ist ein Schatz und ein riesiger Vorteil bei der Positionierung. Aber weil wir erst seit zweieinhalb Jahren im Markt sind, dauert diese Entwicklung natürlich länger, bis sie sich final durchsetzt.“

Bedarfskäufe stehen aktuell häufig über Lustkäufen, wie kann man das wieder ändern und Endkonsumentinnen (und -Konsumenten) Lust auf Mode machen?

„Solange wir uns noch nicht als Alternative zum Status Quo im Handel durchsetzen können, forcieren wir das D2C-Geschäft mit der Endverbraucherin via Teleshopping, Versandhandel, Marktplätze und im eigenen Onlineshop wo wir nur können – natürlich immer nur auf unserer Flughöhe. Das heißt, wir nehmen unsere Frauen in aller erster Linie ernst. Damit meine ich, während viele meinen, mit Marketing und der penetranten Kommunikation des eigenen Images, das Marken-Ego über die Bedürfnisse der Kundin stellen zu können, um selbige mit Zaubertricks in das eigene Produkt zu zwingen, versuchen wir erst gar nicht, unsere Frauen zu kategorisieren. Stil ist für uns keine Frage von Alter, Einkommen oder Passform. Körper verändern sich und das ist auch gut so. Wir sind authentisch, inspirierend, humorvoll und emotional – in allem was wir machen. Die Endverbraucherin merkt und schätzt das.“

Sie haben eine „Foundation“-Kollektion eingeführt; zudem ist vor rund zwei Wochen die neue Orderrunde für die Liefertermine April und Mai gestartet. Wie läuft es und kommen die Anlass- und / oder Trend-Teile besser an oder die NOS-Styles?

„Die ‚Foundation‘ ist unsere Antwort auf das klassische Saison-NOS. Wir fanden es langweilig, dass X-te Angebot an Artikeln auf den Markt zu bringen, in dem eine Option in 10 Farben angeboten wird, um diese Langeweile dann als tolle Nachversorgung anzupreisen. Die Foundation ist ein vollwertiges, episch kombinierbares und hochmodisches Coordinate-Thema, das als komplettes Angebot zum Saisonstart im Januar und Juli geordert werden kann oder aus dem auch jede einzelne Option, einem der nachfolgenden Liefertermine einzeln zuordenbar ist. So simpel dieser Gedanke war, so gut setzt er sich derzeit durch. Viele nutzen unsere Foundation, um auf Pop-up-Flächen einen ersten kleinen Test mit unserer Marke mit wenig Risiko und Kapitalbindung zu wagen.

Wir sind mit der laufenden Orderrunde sehr zufrieden. Explizit in Hessen, Rheinlandpfalz und im Saarland schlägt eine neue Kollegin mit viel Herzblut voll ein. Auch hier ist Authenzität unser Trumpf. Alle Kunden, die mit den Lieferterminen Januar – März 2024 eingestiegen sind, ordern auch die Termine April bis Mai 2024.“

Ziele und Standards im Bereich Nachhaltigkeit wollen Sie offen kommunizieren. Wie weit sind Sie hier aktuell, was haben Sie sich noch vorgenommen und was können Sie (noch) nicht umsetzen?


„Dank fundierter Recherchen ist es uns gelungen, nicht in die Nachhaltigkeitsfalle zu tappen. Damit meine ich die Vielzahl an Zertifikaten, die einem unterwegs angeboten werden und in meinen Augen nichts anders als Greenwashing sind. Außerdem ist uns bewusst geworden, dass wir nur von der Wand bis zur Tapete denken würden, wenn wir das Thema Nachhaltigkeit ausschließlich an den Produktionsstandorten festmachen – frei nach dem Motto: Asien ist böse und Europa ist gut. Denn verschwiegen wird oft, dass die Rohware trotzdem aus Asien kommt, auch wenn auf dem Etikett ‚Made in Europe‘ steht. Keine Frage, wir weisen auch in unserer Kollektion jedes Zertifikat aus, bei dem sich die gesamte Wertschöpfungskette nachvollziehen lässt. Es ist jedoch nicht unsere oberste Priorität, in diesem Meer an Nachhaltigkeits-Verlautbarungen zu versuchen, mit einem kleinen Budget unser Fähnchen mit Gewalt noch höher zu halten als andere.

Nachhaltigkeit hat für uns insbesondere etwas damit zu tun, dass die Endkundin möglichst lange viel Freude an unserer Mode hat, um nicht nach drei Monaten wieder ausgetauscht wird. Das heißt, wir achten darauf, dass die Farben auch nach der X-ten Wäsche halten, dass wir über ein reduziertes Labeling eine möglichst große Kombinierbarkeit mit anderen Lieblingsteilen im Kleiderschrank der Kundin schaffen. Unsere Teile passen nicht nur in kleinen Größen, sondern bis Größe 48. Viele kleine Details – wie Pipings, Necktapes, Ajour Stickereien und tolle Qualitäten zu bezahlbaren Preisen – spenden Freude und unterstreichen die Persönlichkeit der Trägerin.“

Zum Launch war es Ihr Ziel, in fünf Jahren der Partner zu sein, der in den Augen des Fachhandels als erstes erkannt hat, wie wertvoll die Lovely Sisters-Zielgruppe – kurz zusammengefasst: Frauen im besten Alter mit Größen von 36 bis 48 – für den Einzelhandel ist. Ist dies weiterhin Ihr Ziel und welche weiteren haben Sie sich gesetzt?

„Durch den hohen Anteil unseres D2C-Business wissen wir inzwischen sehr genau, wer unsere Zielgruppe ist. Unsere Branche tut sich ja hinlänglich schwer, über Alter zu reden oder sich selbiges einzugestehen. Wir haben damit kein Problem. Unser Kundin ist zu 55% älter als 45 Jahre. Allerdings sind 30% auch jünger als 35 Jahre. Was beide ‚Generationen‘ eint ist der Umstand, dass beide keine Topmodels sind und im Kern Größe 42 tragen. Unser Name ist die Brücke, die als symphatisch und mangels belastender Historie, auch als neutral empfunden wird. Das einzige, was sich geändert hat ist, dass wir davon ausgehen, länger für die Etablierung im Facheinzelhandel zu benötigen als geplant, während wir umgekehrt schneller und stärker mit der Endverbraucherin direkt wachsen werden, als wir es vorhatten.“

Vielen Dank für das Interview!

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