„Herr Gil, warum ist Maßbekleidung ein wachsender Geschäftszweig?“

  /  28.09.2021

Alberto Gil, Hockerty- und Sumissura-Co-Founder, spricht im Interview über „Denimheads“, alternative Nachhaltigkeitswege und warum Männer die einfachere Zielgruppe sind…

Alberto Gil

Modische, perfekt sitzende und gleichzeitig erschwingliche Kleidung, die zudem einen positiven ökologischen Fußabdruck hinterlässt – dafür möchten die E-Commerce-Unternehmen Hockerty für Herren und Sumissura für Frauen stehen, die sich auf maßgeschneiderte Kleidung fokussieren. Co-Gründer Alberto Gil verrät im Interview, welche Herausforderungen es bislang gab, ob der Bereich Maßbekleidung schon im Mainstream angekommen ist und welche Sortimentserweiterungen die Labels warum umgesetzt haben.

Hockerty ist seit 13 Jahren am Markt, Sumissura seit acht Jahren – können Sie die beiden Marken bezüglich Erfolg und Zielgruppen vergleichen?

„Hockerty ist die ausgereiftere Marke, aber bei Sumissura konnten wir alle Learnings von Hockerty übernehmen und darauf aufbauen. Sumissura ist eine Marke, die Jahr für Jahr schneller wächst, wenn wir sie mit dem Wachstum von Hockerty in den ersten Jahren vergleichen. Beide sprechen all diejenigen an, die ihre Kleidungsstücke nach Maß designt haben oder selbst gestalten möchten – und bei beiden Brands haben wir Kundinnen und Kunden aller Altersgruppen.“

Sie sind kürzlich mit Schuhen für Damen und Boots für Herren gestartet – ein anderes Segment als Anzüge. Wie kam es zu der Entscheidung und was waren bzw. sind die Herausforderungen?

„Um ehrlich zu sein, sehen wir sie nicht als so unterschiedliche Segmente. Eines der Ziele unseres Unternehmens ist es, so viele Maßanfertigungen anbieten zu können wie möglich. Wenn unsere Kunden also Anzüge tragen, brauchen sie auch Schuhe, also haben wir überlegt, wie wir diese auf Bestellung fertigen können. Letztlich haben wir uns dazu entschieden, sie in Spanien zu produzieren. Die Schuhe können selbst designt werden, sind aber (noch) nicht maßgefertigt. Wir arbeiten an Systemen, die es uns dank 3D-Druck ermöglichen, individuelle Formen, wie ein Modell der Füße, zu erstellen, um daraus maßgefertigte Schuhe zu kreieren.“

Sie haben bereits Denims für Herren im Repertoire, Jeans für Damen sollen folgen. Warum haben Sie sich zuerst für die Männer entschieden? Und sind Suits oder Denims beliebter im Bereich Costum Tailering?

„Wir haben mit den Männern angefangen, weil die Custom-Denim-Produktion eher auf Männer ausgerichtet ist. Generell finden wir mehr ‚Denimheads‘ bei den Herren als bei den Frauen, also denke ich, dass es auch mehr Männer gibt, die sich für Custom-Jeans interessieren. Andererseits ist dies etwas, das sich aktuell immer mehr ändert, da Custom-made einen alternativen Weg der Nachhaltigkeit in der Modewelt und damit eine neue Art des Fashion-Shoppings bedeutet. Ich glaube also, dass es in Zukunft genauso viele Frauen wie Männer geben wird, die maßgeschneiderte Jeans und mehr kaufen möchten.

Der zweite Grund, warum wir mit den Herren-Denims gestartet sind, ist, dass es einfacher ist. Wir möchten weit mehr Jeans-Optionen für Damen anbieten, deshalb war es sinnvoller, mit dem simpleren Produkt zu starten, es zu perfektionieren und dann das kompliziertere in Angriff zu nehmen.“

Die Hockerty- und Sumissura-Styles werden in Shanghai produziert – wie suchen Sie ihre Partner dort aus und was sind die Herausforderungen?

„Nachdem wir seit 13 Jahren unsere Produktionsstätten in Shanghai betreiben, funktioniert alles ziemlich reibungslos. Im Jahr 2008 haben wir uns aufgrund der Tradition im Bereich maßgeschneiderte Kleidung für Shanghai entschieden. Fast ein Jahrhundert lang gab es dort jede Menge Schneider, die Anzüge für Deutsche, Franzosen und Briten angefertigt haben, die geschäftlich dorthin gereist sind. Wir haben diese Handwerkskunst genommen und mit Technologie kombiniert.

Natürlich gab es Herausforderungen in Bezug auf Qualität, Logistik, Technologie... Wir hatten großes Glück mit unseren ersten Kunden, die uns geholfen haben, uns zu verbessern und dorthin zu kommen, wo wir heute sind.“

Ist Costum Tailering nach wie vor ein Nischen-Business oder ist es bereits im Mainstream angekommen?

„Es ist immer noch eine Nische, aber es ist unsere Nische und für uns mehr als genug. Andererseits freuen wir uns sehr, dass Jahr für Jahr das Interesse wächst, sowohl maßgeschneiderte als auch nachhaltige Mode zu kaufen. Wir sind die perfekte Lösung für beides.“

(Wie) Hat das Streben nach Nachhaltigkeit in der Fashion-Branche zum Wachstum Ihrer Marken beigetragen?

„Wir denken, dass es uns vor allem im aktuellen Jahr besonders hilft, zu wachsen. Immer mehr Kunden haben verstanden, dass Mode nachhaltiger konsumiert werden kann, wenn sie von Zero Waste-Unternehmen stammt. Also entweder kauft man von Brands, die in kleinen/mittleren Produktionen produzieren, bei denen alles im Voraus verkauft wird. Oder man kauft bei Marken wie unseren, bei denen jede einzelne Bestellung für jeden Kunden individuell angefertigt wird.

Auf der anderen Seite sehen wir dieses Jahr leider, dass Sustainability als Marketingstrategie zu leichtfertig eingesetzt wird. Nachhaltigkeit ist nicht eins oder null, sie ist nicht gut oder schlecht, etwas kann nicht als ‚nachhaltig‘ oder ‚nicht nachhaltig‘ bezeichnet werden. Die Wahrheit ist, dass es am nachhaltigsten wäre, nicht zu konsumieren – also gar nichts zu kaufen. Bei Hockerty und Sumissura werden wir nie erzählen, dass wir die nachhaltigsten Fashion Brands aller Zeiten sind, denn dieses Konzept kann es nicht geben. Maßanfertigungen zu produzieren ist eine nachhaltigere Praxis im Vergleich zu traditioneller Mode? Definitiv. Haben wir in Sachen Nachhaltigkeit noch Verbesserungspotenzial? Definitiv.“

Können Sie ein paar Details zu Ihren digitalen Innovationen und Measurement-Technologien erzählen?

„Innovation ist der Kern unseres Business-Modells. Dadurch können wir komplizierte Prozesse verbessern und unseren Kunden einen besseren Service bieten. Insbesondere helfen uns unsere Algorithmen, die hinter unserem Messprozess stehen, die Maße unserer Kundinnen und Kunden mit Kenntnis ihrer Größe und ihres Gewichts vorherzusagen, falls sie nicht selbst zusätzlich Maß nehmen möchten. Und sie helfen uns im anderen Fall auch, mögliche Messfehler zu korrigieren. So oder so können wir die Kundenzufriedenheit verbessern und Fehler bei unseren Bestellungen reduzieren. Dieses System basiert heute auf maschinellem Lernen. Je mehr Kunden wir haben, desto besser wird das System.“

Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf Hockerty und Sumissura?

„Das erste Halbjahr war sehr kompliziert. Obwohl wir ein Digital Native Vertical Brand sind, stieg die Nachfrage nach Maßanzügen, feierlicher Bekleidung, Kleidern usw. absolut nicht. Zudem war die Logistik weltweit betroffen, sodass wir sie neu anpassen mussten. Glücklicherweise war die zweite Jahreshälfte umsatzmäßig sehr gut, so dass wir im Endeffekt in einem Jahr, das eine Katastrophe hätte werden können, mehr Neukunden gewinnen konnten. Andererseits hat uns die Pandemie bewusst gemacht, dass wir unser Business noch weiter entwickeln müssen. Wir haben erkannt, dass unser Geschäftsmodell stark genug ist, um eine Pandemie zu überstehen und das mussten wir zu unserem Vorteil nutzen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, Schuhe zu launchen und Jeans zu entwickeln.“

Ich habe einen Ratschlag von Ihnen gelesen, wenn jemand ein Business gründen will: immer eine ungerade Zahl an Partnern wählen. Warum?


„Ja, das ist immer noch einer meiner Lieblingsratschläge. Ich weiß, dass es wahrscheinlich viele brillante Köpfe gibt, die zu zweit arbeiten und keine dritte Person an Bord haben. Fakt ist dennoch, dass eine ungerade Anzahl an Partnern dazu beiträgt, Entscheidungen nicht zu blockieren. Man investiert viel weniger Zeit in Verhandlungen, weil es immer eine Mehrheit gibt. Andererseits ist der beste Ratschlag, den ich für neue Unternehmen geben kann: Warten Sie nicht, bis Sie ein perfektes Produkt oder die perfekte Website mit allen Features, Optionen oder Fabrics haben. Finden Sie eine gute Balance zwischen Qualität und Zeit, damit Sie so schnell wie möglich mit dem Testen Ihres Marktes beginnen können.“

Vielen Dank für das Interview!

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