Was bedeutet Quiksilvers Insolvenz für die Streetwear?

  /  21.09.2015

… fragte mich vor ein paar Tagen ein Freund aus der Sportbranche. „Nichts!“, war mein erster Gedanke. Aber stimmt das denn? Ein Gastkommentar von Jürgen Wolf…

Als Außenstehender weiß ich zu wenig über die internen Zahlen von Quiksilver USA und nur diese Gesellschaft ist in die Insolvenz gegangen. Europa und Asien-Pazifik sind nicht betroffen. Genau genommen handelt es sich auch nicht um eine Insolvenz wie wir sie kennen, sondern um ein Chapter 11 genanntes Verfahren, in dem der Gläubigerschutz fast umgekehrt zu unserer deutschen Version steht. In den USA wird der Schutz vor den Forderungen der Gläubiger als Gläubigerschutz bezeichnet, während man bei uns unter Gläubigerschutz den Schutz der Interessen der Gläubiger versteht. 

In der Pressemeldung vom 9. September 2015 kündigte das Management eine Restrukturierung des eigenen Ladennetzes an. Das ist unter Chapter 11 einfach möglich, weil sowohl Miet- als auch Mitarbeiterverträge sofort gekündigt werden können. Hier dürfte wohl der Hase im Pfeffer liegen. Obwohl man schon viele eigene Stores geschlossen hatte, sind noch circa 120 Stores übrig und die scheinen zu drücken. Dazu kommen noch etwa 1,3 Mrd. Dollar, die das Rossignol-Abenteuer unter dem Strich gekostet hat. Wie hat ein US-Analyst so schön gesagt:  „The heyday of the late ‘90s and the early 2000s is a distant memory. There’s just fewer kids out there that think the surf market is cool.” Bang! Das sitzt. Heute herrschen auch im Heimatmarkt von Quiksilver andere Gesetze als zu der guten alten Zeit: H&M und Forever 21 haben ihre Spuren hinterlassen und die Kids unterliegen dem Action Sport-Zauber einfach nicht mehr in der Art wie noch vor zehn oder gar 20 Jahren. Und hier liegt ein weiterer Hase im Pfeffer. Eine Mengelage aus all diesem ergibt ein teuflisches Gebräu, das nicht nur Quiksilver gründlich den Magen verdorben hat. 

Die 90er waren eine Boomphase. Man traute sich und der Marke mehr Umsatz zu. Eigene Läden waren der Königsweg. Die 2000er Jahre sind davon geprägt. Flächenkonzepte drücken dieser Zeit ihren geschichtlichen Stempel auf. Zur gleichen Zeit verlieren aber die Kids die Begeisterung für Action-Sport, mit dem Ergebnis, dass sich die Umsätze nicht auf dem Niveau des Booms halten können und die Läden damit unrentabel werden. Die Begeisterung für Action-Sport haben sich heute eher die 30- bis 45-jährigen Sportler bewahrt, die mit all diesen Sportarten aufwuchsen und den Hype prägten. Diese Kunden hat die Industrie aber gar nicht auf dem Radar und rennt stattdessen immer noch sklavisch den jungen Menschen hinterher. Eben weil es immer so war. Fehler! Denn diese wollen sich modischer kleiden, als es mit einem bedruckten T-Shirt eines Action-Sport-Brands möglich ist, auf dem am Ende auch immer nur der Firmenname steht, in mittlerweile wohl 5 Millionen Varianten, seit Gründung des Brands. 

Also wendet man sich der Mode zu und ist auf dem Weg zur nächsten Klatsche. Das können nämlich die Fast Fashion-Fuzzies besser. Nicht nur das. Die Kunden lernen jetzt auch, dass sich ähnelnde Teile bei den Surf-Brands das Mehrfache kosten. In der Zwischenzeit hat man aber schon hunderte von eigenen Shops eröffnet. Zu allem Übel dann auch nicht am Strand, wo man als Surfbrand ja eigentlich hingehört, sondern mitten auf dem Times Square in New York oder Universal City Walk in Los Angeles. Dort sind aber die Modemarken zu Hause und die treffen die Wünsche der Stadtmenschen leichter. 

Was hat die Insolvenz von Quiksilver also mit Streetwear zu tun? Vieles! Quiksilver reiht man gerne in der Streetwear ein und hier beginnt der nächste Fehler, der sich derzeit rächt. Ein Surfbrand und hat seine Wurzeln im Surfen und das geht nur in der Brandung. Der Lifestyle findet am Beach statt = Beachwear/Surfwear. Ein Skatebrand beispielsweise hat seine Wurzeln im Skaten und das übt man in einer Urbanität oder im Skatepark aus. Der Lifestyle ist damit in der Stadt zu Hause = Streetwear. Der Begriff Streetwear ist zu einem Sammelbecken junger Mode verkommen, für das man keine Bezeichnung mehr findet. Dieses Chaos gilt es zu entrümpeln. Nicht zuletzt, weil der Endverbraucher im Zeitalter des „Alles ist Mode“ mehr Halt braucht. Bei Zalando sind Nike und Adidas gleich in den Top 5 der Streetwear-Anbieter aufgelistet. Verwirrung pur. 

„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten“, Zitat August Bebel. Vision Streetwear hat diesen Begriff vor etwa 35 Jahren geprägt und er stand lange Jahre für das Segment der Skatewear. Vom Skaten kam er und in die Stadt gehört er. Streetwear ist am Strand so fehl am Platz wie Surfwear in der Big City. Zum Surfen trage ich eine Surfshorts. Zum Skaten eine Jeans. Mit dieser Logik geht der junge Kunde ins Rennen. In den USA gab es nie Jeansläden, wie wir sie kennen. Dieses Business war in den Händen von Macy’s und Co. Eine modische Diaspora. So konnte die Surfindustrie sogar mit dem Segment Jeans gemütlich wachsen und damit in den großen Städten auch Streetwear an ihre jungen Kunden verkaufen, obwohl dies überhaupt nicht zu ihrem Markenkern gehörte. Das hat sich vor ein paar Jahren schlagartig verändert, als der Wettbewerb durch die Fast Fashion-Anbieter auch in die USA getragen wurde. Jetzt steht man vor dem Dilemma, als Surfmarke in der Großstadt gelandet zu sein, wo man ja gar nicht hingehört. Die Kids, die dort leben, haben ihr Augenmerk aber eher auf der Musik als dem Surfen und wählen daher auch eher Marken aus dem Segment der Streetwear als aus der Surfwear. 

Quiksilver und die anderen großen Surfbrands haben über die Jahre von einem Hype aus der Vergangenheit gelebt. Obgleich sie immer noch einen großen Rückhalt bekommen, einfach weil es in USA unfassbar viele Surfer gibt. Mit denen hätte man sich begnügen sollen. Das sind genug Leute, um gigantische Umsätze zu erzielen. Warum muss ein Surfunternehmen 1,5 Mrd. Dollar Umsatz machen? Geld verdient wurde dabei ja eh nicht. Sollte ein Umsatz von deutlich unter einer Mrd. nicht auch genug sein, wenn man dadurch den Markenkern wieder erkennen kann? Warum nennt man sich selbst „one of the world’s leading outdoor sports lifestyle companies“, wenn man ein Surfbrand ist? Ist die Verzettelung denn immer noch Programm? 

Mal sehen, was Oaktree Capital Management aus Los Angeles dazu sagt. Das sind Spezialisten für in Probleme geratene Firmen und sind nach den nötigen Umstrukturierungen meist auch deren Mehrheitsbesitzer. Ach ja: Mit 18,7% ist Oaktree seit 2013 Anteilseigner auch von Billabong. Billabong und Quiksilver haben aber das gleiche Problem und das wurde bislang nicht angegangen. Sie glauben beide, dass sie im Surf-, Snowboard- und Skate-Segment zu Hause sind und sammeln ihre Umsätze in allen drei Bereichen zusammen. Wirklich zu Hause sind sie aber im Surfen und nur dort haben sie Schwung für ihr Wachstum geholt. Den hat man dann mit dem Kauf von diversen Marken, den Quiksilver mit dem Irrsinn Rossignol zu kaufen gekrönt hat, einfach verloren. Diese Zeiten sind eigentlich seit 20 Jahren vorbei. Damals ging alles, weil es von allem zu wenig gab. Heute gibt es von allem zu viel. Früher musste man sich ein Surf T-Shirt anziehen, um wie ein Held rüber zu kommen und zumindest eine Action-Sportart beherrschen. Heute reicht es, auf Instagram 100 coole Fotos zu posten, um selbst als cool zu gelten.  Kein Schwein muss dazu noch aus dem Haus gehen. Was aber immer noch zieht, ist die Musik. Bei jung, wie bei „nicht mehr ganz so jung“. Da kann von Glück reden, wer mit seiner Marke wirklich in der Streetwear zu Hause ist. Streetwear und Musik haben schon immer verdammt gut harmoniert und diese Symbiose hat auch in der Zukunft noch großes Potential, während vieles andere wieder in seiner angestammten Nische Platz finden muss.

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