#„Neuland“?

  /  31.07.2013

Der Branche ging es schon mal besser, doch der Online-Modehandel boomt: Was ist dran am Phänomen „Handel 4.0“ – kann und muss man es stoppen?

Was dem einen das haptische Shopping-Erlebnis an Freude beschert, das kann dem anderen eine wahre Last sein, fehlt vielen heutzutage die Zeit oder gar die Lust, sich in den in ihren Augen stickigen Läden mit anderen Kunden um die letzten Größen des begutachteten Kleidungsstücks zu streiten. Beispiel SSV: „Kasse 3, bitte… Kasse 5“, hektisches Treiben, überfüllte Kassen, voll gestopfte Gänge – wie entspannt hingegen das Einkaufen von der Couch, aus dem Zug, von unterwegs sein kann, selbst wenn für die weniger genervten Laden-Shopper dabei ein Teil der Euphorie auf der Strecke bleibt. Es scheint also kaum verwunderlich, dass der Online- und Mobile-Commerce boomt wie nie. So genannte Internet-Pure-Player wie Amazon und Zalando werden eine Million Mal von Kunden APProved und fahren Bruttoumsätze in Milliardenhöhe ein, von denen die meisten der rein stationären Händler nur noch träumen können. Für 2013 rechnet der Handelsverband Deutschland mit einem Wachstum der Online-Umsätze um 12%, das entspricht knapp 3,4 Mio. Euro Umsatz – pro Stunde!

Während sich der Boom in vielen Branchen erst auf dem Vormarsch befindet, hat sich der Trend des Online-Shoppings insbesondere im Bereich Mode bereits fest etabliert. Rund ein Fünftel aller EU-Bewohner, die ihr Einkaufsbedürfnis über E-Commerce-Plattformen befriedigen, kaufen Artikel aus dem Bereich Bekleidung. Tendenz steigend. Der stationäre Handel muss im wahrsten Sinne des Wortes handeln und das ASAP. Allein in 2011 schlossen rund 850 der kleineren, selbstständigen Bekleidungsgeschäfte mit Nettoumsätzen unter einer halben Million Euro in Deutschland ihre Pforten oder stiegen im seltenen Fall in die nächste Umsatzgrößenklasse auf. Und um dem ganzen aus Sicht der Einzelhändler auch noch die Krone aufzusetzen, sollen nun auch noch Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dafür sorgen, dass das Potenzial des „Handel 4.0“ vollends ausgeschöpft werden kann.

Themen des Positionspapiers: Anhebung des Datenschutzes? Nicht von Nöten. Nachhaltiger Ausbau mobiler Netze? Natürlich erwünscht, denn wer hat schon noch die Geduld zu warten? Um den Schlangen an der Kasse im Store zu entgehen, shoppt der Kunde schließlich doch per Mausklick oder Touch. Zeitgleich bekennt sich der Handelsverband Deutschland dazu, die Behörden in ihrem Feldzug gegen Ebay, Amazon und Co. zu unterstützen und eben diese aufgrund eines vermeintlichen Machtsmissbrauchs auf dem virtuellen Markt in die kartellrechtlichen Schranken zu weisen. Unternehmen wie Adidas und Lowa haben sich diesbezüglich erst kürzlich in das Licht der Öffentlichkeit gestellt und solchen „nicht exklusiven“ Plattformen untersagt, Markenware dort zu vertreiben. Unzureichende Beratung sowie schlechte Produktionspräsentation wird diesen vorgeworfen. Das Bundeskartellamt ermittelt, die Untersuchungen laufen noch.

Das wiederum ruft die virtuellen Gegner auf den Plan. „Der Online-Handel, wie wir ihn kennen, ist bedroht.“ Mit diesen Worten sorgt die Initiative Choice in eCommerce für Aufruhr, die – natürlich im Worl Wide Web formiert – für Angebotsvielfalt und Innovation plädiert, der E-Markt solle ein „freier und fairer Ort für alle Geschäftsformen bleiben“. Der Online-Handel, wie wir ihn kennen? Ein wenig pathetisch, leben wir schließlich als so genannte Generation Z, als „Digital Natives“, in einer Zeit, in der der Online-Handel bisher nur den einen Weg kannte und zwar denjenigen nach oben. Von eben diesem wird er sich schätzungsweise so schnell auch nicht abbringen lassen.

Wie kann man der Sache also Herr werden, wenn die „Big Player“ mit Rückgabefristen von 100 Tagen, kostenlosem Versand und Umtausch locken? Der Ansatz des HDE ist gut: Die geforderten Rahmenbedingungen sollen auch kleineren Unternehmen die Möglichkeit geben, sich abgesehen vom lokalen Standort einen Platz im World Wide Web zu sichern. Zusammen gefasst ist also Multi-Channel das Stichwort, zumindest vorerst, um als stationärer Händler den Anschluss nicht zu verlieren. Hierbei gilt es, den Online-Shop eng mit dem lokalen Fachhandel zu verzahnen, um eine hohe Kundenzufriedenheit zu garantieren. Das ist nach wie vor das A&O und fehlt vielen großen Plattformen. Tatsächlich bedroht das Internet jedoch nicht ausschließlich den stationären Handel – auch unter den verschiedenen Online-Vertriebsformen herrscht ein Verdrängungskampf, der beständig auf dem Cyber-Schlachtfeld ausgefochten wird. Wann? Dafür mag es noch keinen konkreten Zeitpunkt geben, dass immer weniger stationäre Stores die, trotz größtenteils fallender Umsätze in der Branche, steigenden Ladenlokalmieten künftig kaum noch bezahlen können, scheint statistisch gesehen jedoch gar nicht allzu abwegig.

Kann oder muss man also der rasanten Entwicklung Einhalt gebieten? Sollte man den Versuch auf dem unbekannten Terrain wagen? Falls ja, wie? Schließlich ist es – diese kuriose Meinung äußerte zumindest die mächtigste Frau im Staat – „für uns alle Neuland“. Der erste Schritt, um dort Fuß zu fassen, ist die Fokussierung auf die eigenen Stärken, der Blick über den Tellerrand, das Antasten und Erkunden des virtuellen Marktes. Dann kann man sich das zu Nutze machen, was bei den großen Webshops verbesserungswürdig ist, was sie an fehlender Individualität zu einer grauen Suppe im Online-Meer verschwimmen lässt; filtern, was an all diesen Plattformen gleich ist und diesem entgegen wirken. Marketing ist hier das Schlüsselwort, denn bei der Vielzahl an Brands, Stores, Online-Marktplätzen in der Modewelt wird eines immer zählen: das Alleinstellungsmerkmal, der Unique Selling Point. Es gilt eben diesen zu erkennen, zu nutzen, publik zu machen – Kanäle gibt es genug, auch im Internet, denn dies muss kein Feind des stationären Handels sein, sondern kann eine Erweiterung darstellen, die – richtig genutzt – buchstäblich neue Welten eröffnen kann.

Folgende Frage steht aber im Raum: Wenn sogar schon Backwaren über Bestellungen in der virtuellen Backstube auf den heimischen Tisch geliefert werden können und Supermärkte ihre Internetpräsenz bis hin zur Auslieferung ausbauen, wofür sollte der Kunde also noch das Haus verlassen müssen? Außer für den Arztbesuch, wenn Dr. Google nichts mehr zu sagen weiß, und die Arbeit, die möglicherweise eines entfernten Tages auch nur noch vom so called Home-Office aus erledigt werden kann. Ungeachtet dessen, ob man dieser Entwicklung nun positiv, neutral oder negativ gegenüber steht: Online ist auf dem besten Weg das neue Offline zu werden.

Lara Schotten

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