Ab in die Ecke und schäm dich, Amazon!

  /  12.12.2013

Amazon war das viel diskutierte Thema in der Sonntags-Talkrunde bei Günther Jauch. Es hagelte Vorwürfe, Negativzahlen, Beleidigungen. Aber ist daran wirklich alles schlecht? Ein Kommentar von Lara Schotten…

In der Talkrunde von und mit Günther Jauch wurde am Sonntagabend die folgende Thematik diskutiert: „Weihnachten mit Amazon und Co. – wer leidet unter unserem Bestellwahn?“ Relativ schnell wurde deutlich, dass man das „und Co.“ allein der Vollständigkeit halber hinzugefügt hatte, denn im Grunde fand sich das Unternehmen von Jeff Bezos allein im Rampenlicht wieder. Mit Günter Wallraff, dem Enthüllungsjournalisten schlechthin, (er kauft nie im Internet, seine Bücher kann man über Amazon aber selbstverständlich erwerben) hatte man ein Paradebeispiel der so genannten Gegenbewegung in die Runde geholt, das außer trivialen Äußerungen wie „Amazon schadet allen“ , sei eine „Sklavensekte“ sowie „Unsere Innenstädte veröden“ herzlich wenig konstruktives zum Thema beizusteuern hatte. Ranga Yogeshwar konnte dem Ganzen zwar einen Mehrwert verleihen, indem er den Onlinehandel generell als etwas Positives empfinde, Amazon jedoch beispielsweise aufgrund der nicht geleisteten Steuerzahlungen, denen der Konzern durch den Partnersitz in Luxemburg entgeht, „asozial“ findet. Applaus. Und das mit Recht.

Primär ging es allerdings um die widrigen Arbeitsbedingungen, die in den Logistikzentren in ganz Deutschland herrschen sowie dass Zeitdruck und Kontrolle ständige Begleiter der für einen zu geringen Lohn schuftenden Arbeitnehmer seien. Dass es so nicht weitergehen darf, das weiß der Staat, das wissen die Arbeitgeber und das weiß ganz offensichtlich auch Ver.di. Nur muss mehr als eine der drei Parteien daran arbeiten. BWL-Professor und „Onlineexperte“ Gerrit Heinemann brachte es auf den Punkt: Dann könne man aber de facto die gesamte Versandbranche an den Pranger stellen. Wie das im stationären Einzelhandel abläuft, schwang nur im Subtext mit. Im Schnitt verdienen die Angestellten in ihrer Ausbildungszeit einen monatlichen Bruttolohn von 580 bis 834 Euro. Paradiesische Zustände? Wohl kaum. Auch die Einstiegsgehälter lassen mit 1.300 bis 1.700 Euro pro Monat deutlich zu wünschen übrig. Schlimmer als jenen geht es offenbar nur den Paket- und Postboten, insbesondere im laufenden Weihnachtsgeschäft. Rund 66% der Bestellungen im Segment Mode werden jährlich retourniert. Das sind 286 Millionen Pakete pro Jahr, für die man 57 Millionen Liter Diesel sowie 140.000 Tonnen CO2 benötigt. Jede Rücksendung kostet ein Unternehmen 15,18 Euro. Versandhandelsexperte Patrick Palombo bemerkte: „Diese Retourquote gab es vor 40 oder 50 Jahren im Versandhandel auch schon. Die Kosten sind eingepreist.“ Das Thema Umweltverschmutzung wurde angerissen, verlief aber schnell in Sande. Die Diskussion ist also keine neue und genauso wenig neu waren auch die Ergebnisse, sofern es die überhaupt gab.

Verlagerung war eines der produktiveren Stichworte in diesen 60 Minuten, ein Beispiel: Der Tante Emma-Laden bekam Konkurrenz durch die Warenhäuser, jene durch den Versandhandel, dieser durch den E-Commerce. Klar ist, keines ersetzt das andere in naher Zukunft. Effizienz sei der Schlüssel, die könne aber auch der kleinste Einzelhändler durch intelligente Konzepte generieren. Dennoch waren die leuchteten Wörter „Internethandel = Amazon = böse“ über den Köpfen der Runde nicht wegzudenken. Shoppen per Mausklick, das sei quasi „Magie“, diagnostizierte Herr Yogeshwar mit einer Spur von Positivismus; Frau Karasek – die Quotenfrau, die offenbar als stereotypische Shopperin entlarvt werden sollte – geriet jedoch immer mehr in die Rolle des „Konsummonsters“, Amazon kam, sah und siegte als „disruptiver Riese“. „Die fantastische Welt von Amazon“ hätte die Sendung heißen sollen.

Der Schattenaspekt des Online-Booms sei insbesondere, dass das Einkaufen nur außerhalb des märchenhaften Internets eine nette, menschliche Sache sei. Das stimmt, im Ansatz zumindest. Aber ist denn grundsätzlich alles andere schlecht? Wenn ich die Wahl habe, einem gerechtfertigt unzufriedenen Verkäufergesicht, vollen Läden und langen Warteschlangen zu entgehen, indem ich durch einen Mausklick schnell, zeitsparend und effizient – wie nahezu einstimmig erkannt wurde – meine Wunschware bestelle, dann muss ich persönlich darüber nicht diskutieren. Viel wichtiger ist die Frage: Macht der soziale Kontakt die Bezahlung der Arbeitnehmer im stationären Handel gleich weniger „ausbeuterisch“, als es der Onlinehandel, respektive Amazon, tut? Und auch der Umstand, dass die nette Frau im Buchladen dann nicht mehr weiß, was Herr Yogeshwar gern liest, die Wurstverkäuferin seinen Kindern keine Wurstscheibe überreichen und der Postbote – gesetzt den Fall, er werde eines Tages tatsächlich durch Drohnen ersetzt – dem Hund keine Leckerlis mehr mitbringen kann, wird die Menschen nicht vom Kauf im Internet abhalten. Die intensive Kommunikation, die über soziale Netzwerke stattfindet, indem Menschen Dinge online miteinander teilen, man sich verstärkt über Marken, Trends, Preise und Neuheiten austauscht, zählt wohl nicht zu der gewünschten Art von Socialising. Ganz sicher wird es aber auch dazu bald eine Talkrunde mit dem Thema: „Facebook und Co. – wer leidet unter unserem Mitteilungswahn?“ geben.

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