„Was ist nicht möglich?“

  /  31.10.2016

Drehbuchautor und Regisseur Scott Derrickson, verantwortlich für den neuen Film „Doctor Strange“, verrät im Interview, warum er mit einem Portemonnaie bei Marvel Produktionschef Kevin Feige punkten konnte, dass Filmemacher klauen und warum man manchmal das Unmögliche möglich machen muss…

Scott Derrickson

Scott Derrickson ist für die neueste 3D-Marvel Verfilmung „Doctor Strange“ verantwortlich, die in London, New York, Hongkong und Kathmandu in Nepal gedreht wurde – mit Tilda Swinton und Benedict Cumberbatch in den Hauptrollen. Der Drehbuchautor und Regisseur verriet beim Interview in Berlin, wie er vom Horrorfilm- zum Superhelden-Genre kam, warum ihn „Doctor Strange“ als Figur fasziniert und was so genanntes „Tutting“ und Mandalas mit dem Film zu tun haben.

Wenn man auf Ihre vorherigen Filme zurückblickt, die häufig im Horror-Genre angesiedelt sind, scheinen Sie zunächst nicht die offensichtlichste Wahl für einen Marvel Film zu sein. Wie kam es dazu, dass die Wahl auf Sie gefallen ist und wie ist Ihre persönliche Verbindung zu den Filmen? 

„Ich bin als typischer amerikanischer Junge in Denver aufgewachsen, habe viele Marvel Comics gelesen und war schon immer ein besonderer Fan des Charakters ‚Doctor Strange’. Seit mittlerweile 45 Jahren besitze ich ein Marvel Portemonnaie und als ich Kevin Feige [Anm. d. Red.: Filmproduzent und President of Production der Marvel Studios] zum ersten Mal getroffen habe, habe ich es auf den Tisch gelegt und ihm gesagt, wie lange ich diese Geldbörse schon mit mir herum trage, damit habe ich schon mal gepunktet (lacht). Diese Mindtrips, auf die einen die Comics – und nun auch der Film – schicken, faszinieren mich, genauso wie die Idee eines Superhelden, dessen Transformation nicht äußerlich, sondern fast ausschließlich innerlich stattfindet. Körperlich verändert sich Doctor Strange ja kaum. Der Weg von Horrorfilmen zu ‚Doctor Strange’ war eigentlich sehr logisch, man muss bei beiden Genres die Balance halten zwischen realen Personen mit realen Problemen einerseits, die dann aber andererseits mit übernatürlichen Gegebenheiten in Berührung kommen. Am Set von ‚Doctor Strange’ war es allerdings um einiges witziger als am Set von Horror-Movies, man ist nicht dauernd in einem Keller, wo immer irgendwo eine Leiche rumliegt (lacht).“

Wie kam der visuelle Stil des Films zustande?

„Wir haben uns hauptsächlich von den Comics inspirieren lassen. Steve Ditko [Anm. d. Red.: Zeichner der Comicsuperhelden Spider-Man & Dr. Strange] ist ein Genie und seine Arbeit für ‚Doctor Strange’ ist mein Lieblingswerk von ihm; die Zeichnungen sind so bizarr und psychedelisch. Als wir mit dem Konzept begonnen haben, haben wir uns aber auch andere Arbeiten angeschaut.“ 

Wie talentiert muss man selbst im Bereich Computer-Animation sein, um solch einen Film zu machen? 

„Ich habe während der letzten 20 Jahre extrem viel dazu gelernt und bei diesem Film habe ich mir tatsächlich immer die Frage gestellt ‚Was ist nicht möglich?’, um es dann doch irgendwie möglich zu machen (lacht). ‚Inception’ war eine unserer Inspirationsquellen, Regisseur Chris Nolan hat bewundernswerte Arbeit geleistet, die visuellen Effekte waren in meinen Augen aber nur die Spitze des Eisbergs. Der Film es ist mittlerweile sieben Jahre alt und viel davon, was wir nun gemacht haben, war da noch gar nicht möglich. ‚Doctor Strange’ ist quasi auf den Schultern dieses Films entstanden, so arbeiten Filmemacher: Wir klauen, kontextualisieren neu und entwickeln weiter (lacht).“ 

Im Marvel Universum gehört „Doctor Strange“ mit 115 Minuten eher zu den kürzeren Filmen. Wird es auf der DVD eine Extended Version geben?

„Ich hatte diese Diskussion gestern noch mit Kevin und meine Lieblingsszene, die gekürzt wurde, wird nicht auf der DVD sein: Er mag sie so sehr, das sie in einem anderen ‚Doctor Strange’-Film auftauchen soll. Kevin denkt extrem vorausschauend! Generell haben wir aber nicht viel herausgeschnitten, wenn man wie ich aus dem Horror- und Low Budget-Bereich kommt, ist man es gewohnt, nur das zu shooten, was auch wirklich in den Film kommt.“ 

Im Film werden die Durchgänge in andere Dimensionen und Zeiten nicht durch Worte, sondern durch bestimmte Handbewegungen geöffnet. Wie entstand diese Idee?

„Es war meine Idee, Gesten statt Sprüche zu benutzen, also habe ich nach Tanzchoreopraphen gesucht. Dann hat [Executive Producer] Stephen Broussard mir ein Youtube Video gezeigt, von ‚JayFunk’, Julian mit echtem Namen, der etwas namens ‚Tutting’ macht, das ist sozusagen Tanzen mit den Fingern. Als ich eins seiner Videos gesehen habe, war klar ‚Das ist es!’. Wir haben ihn also eingeflogen, ich habe ihm ein Mandala als Vorlage gegeben plus die Vorgaben von circa 8 Sekunden und vier oder fünf Gesten; anhand dessen hat er letztlich die Bewegungen entwickelt, die die Gateways im Film entstehen lassen.“ 

„The Ancient One“ wird im Film von Tilda Swinton verkörpert, in den Comics von einem männlichen Tibeter, so kam eine „Whitewashing“-Kontroverse auf. Wie kam es zur Besetzung der Rolle mit Tilda Swinton?

„Diversität liegt in der Verantwortung von uns Direktoren und ich nehme das sehr ernst. Diese Kontroverse wäre aber eigentlich gar nicht aufgekommen, wenn nicht zur selben Zeit unter anderem das japanische Manga-Franchise ‚Ghost in the Shell’ mit Scarlett Johansson in der Diskussion gewesen wäre. Als wir Tilda gecastet haben, hat niemand etwas gesagt, auch beim ersten Trailer nicht, als dann aber ‚Ghost in the Shell’ herauskam, sind wir sozusagen ins Kreuzfeuer geraten. Asiaten werden in Hollywood-Produktionen häufig stereotypisiert und auch in den Comics sind sowohl die Figur des ‚Wong’ als auch ‚The Ancient One’ Stereotype. Meine erste Idee davon wegzukommen, war, die Rolle mit einer Frau zu besetzen, und zwar nicht mit einem Mitte 20-jährigen Leder-Fanboy-Dreamgirl. Bei den Überlegungen, eine asiatische Frau mittleren Alters zu casten, ist mir aufgefallen, dass ‚The Ancient One“ dann aber Gefahr laufen würde, zu einer stereotypischen ‚Dragon Lady’ zu werden. Ich unterrichte die Geschichte des asiatischen Kinos, habe Orientalismus studiert, ich kenne mich also durchaus mit der Thematik aus. Dann kam mir Tilda in den Sinn und mit ihr im Hinterkopf konnte ich die Rolle der ‚Ancient One’ zum ersten Mal so schreiben, dass sie Sinn machte. Und zum Glück hat Tilda dann auch zugesagt!“

Vielen Dank für das Interview!

Kristina Arens