„Früher wollte ich von jedem gemocht werden“

  /  11.10.2016

Die Sportfreunde Stiller feiern 20-jähriges Jubiläum und haben mit „Sturm & Stille“ ein neues Album herausgebracht. Im Interview verrät Leadsänger Peter Brugger, welche jugendlichen Eigenschaften er sich bewahrt hat, wie Konzerte auf einer Modemesse sind und vor was er Angst hat.

Sportfreunde Stiller

Peter Brugger mit Redakteurin Kristina Arens

„Applaus Applaus“ für die Sportfreunde Stiller – Peter Brugger, Florian Weber und Rüdiger Linhof –, die mit ihrem siebten Album „Sturm & Stille“ 20-jähriges Jubiläum feiern. Im Interview erklärt Leadsänger Peter Brugger, dass nicht mehr alles „Fast wie von selbst“ läuft, dass „Tage wie dieser“ vorkommen, an denen er nicht das Gefühl hat, angekommen zu sein, dass bei der Band nicht immer „Alles Roger“ war und dass ihn die Frage „Siehst du das genauso?“ durchaus auch nach 20 Jahren noch beschäftigt. „Ein Kompliment“ für ein sympathisch-unterhaltsames und ehrliches Interview bekommt er jedenfalls von unserer Redakteurin Kristina.

Peter, in der Pressemitteilung zum neuen Album „Sturm & Stille“ heißt es unter anderem, ihr habt „Menschen und Herzen im Sturm erobert, euch selbst in der Stille fast verloren. […] Aber die Balance und die eigene Mitte (wieder)gefunden und neu definiert.“ Wann und warum hättet ihr euch „in der Stille fast verloren“ und inwiefern habt ihr euch neu definiert?

„Ich habe das Gefühl, wir müssen uns permanent weiterentwickeln, uns neu definieren und schauen, ob trotzdem alles stimming ist, was wir machen. Dabei passiert es immer mal, dass man sich verrennt, aber wenn man es dann noch merkt und abbiegen kann, passt’s wieder. Wir sind zu dritt und machen alle mit großer Leidenschaft Musik, da muss man einfach viel miteinander reden und sich austauschen. Weiterentwicklung und Neudefinition gehen für mich einher; wie man es nun nennen will, ist letztlich egal.“

Und inwiefern hätte ihr euch „In der Stille fast verloren“?

„Nach einem Plattenzyklus, also wenn wir eine Zeit lang viel live gespielt haben, machen wir erstmal eine Pause voneinander, jeder verarbeitet das, was wir erlebt haben und anschließend legen wir fest, wann wir uns wiedertreffen und mit der Band weitermachen wollen – zu dieser Zwischenphase passt die Stille ganz gut. Je älter wir werden, desto voller werden unsere anderen Leben neben der Musik, jeder hat eine Familie und wir müssen uns bewusst wieder zusammenraufen. Früher war das viel selbstverständlicher, wir haben nebenbei ein bisschen studiert, ein bisschen gejobbt und dann gab es die Band, man war automatisch näher beieinander. ‚In der Stille fast verloren’ hätten wir uns nach dem ‚Unplugged’-Album: Ich habe gemerkt, dass mir die Energie abhanden gekommen ist, hatte kein Bock mehr auf Musik und wollte meine Ruhe haben. Flo hingegen wollte weitermachen, ich konnte ihm aber nicht sagen, wann es bei mir wieder so weit ist. Das hat mir auch leid getan, aber das war eine Situation, die man nicht einfach besprechen und aus der Welt schaffen konnte, weil ich ja selbst nicht wusste, wann ich wieder Lust habe.“

Flo ist „mit seinen Hummeln im Hintern“ die treibende Kraft, hat er selbst mal gesagt und du auch über ihn. Hätte es ohne Flo länger gedauert mit dem neuen Album?

„Also wenn wir drei Peters gewesen wären, auf jeden Fall (lacht). Wir sind sehr unterschiedlich, Flo muss immer irgendwas machen, ihm fällt’s schwer, einfach mal ein bisschen abzuschalten.“

In der Süddeutschen Zeitung heißt es in einer Rezension zu eurem Album, die Sportfreunde Stiller seien keine Band, sie seien ein Wellnesshotel. Zudem fallen Wörter wie Nostalgiesucht. Wie gehst du mit solchen Kritiken um?

„Diese Rezension habe ich auch schon gelesen und finde sie total in Ordnung. Der Redakteur findet das Album halt irgendwie langweilig, aber er hat sich beim Schreiben zumindest Mühe gegeben und sich etwas einfallen lassen mit dem Vergleich. Wir können es nicht jedem Recht machen und das ist okay. Was ich scheiße finde, ist, wenn Kritik unter die Gürtellinie geht, wenn sie nichts mehr mit der Musik an sich zu tun hat, sondern wenn ich das Gefühl habe, da positioniert sich jemand einfach nur gegen uns…“

Eins eurer neuen Lieder heißt „Ich nehm’s wies kommt“, andererseits hast du mal gesagt, ihr arbeitet jetzt detailverliebter. Widerspricht sich das? Und wie entspannt – oder eben nicht – ist man nach 20 Jahren im Business?

„Also ich bin nicht völlig befreit davon, dass es mir total wurscht wäre, wie unsere Musik ankommt. Auf der anderen Seite weiß ich, dass wir es nicht in der Hand haben, wir können es nur so gut machen wie es uns möglich ist… Und es spielen so viele Faktoren mit rein, wie jemand ein Lied oder Album findet, der Zeitpunkt des Hörens zum Beispiel, in welcher Situation sich derjenige gerade befindet… Es wäre natürlich schön, wenn wieder viele Leute etwas mit unserer Musik, auch mit den neuen Liedern, verbinden. Zum Thema detailverliebter: Wir sind mittlerweile genauer, auch bei Kleinigkeiten. Wenn beispielsweise ein Sound noch nicht optimal stimmt, gehen wir der Sache noch einmal nach; früher haben wir eher mal gesagt ‚ach, passt schon’.“

Über eure neue Single „Das Geschenk“ wurde unter anderem geschrieben: „Never change a winning plot“, da der Inhalt in eine ähnliche Richtung wie der von „Ein Kompliment“ geht. Ist das euer Erfolgsrezept?

„Der Song ist aus einem Gefühl heraus entstanden, ich glaube nicht, dass es bei uns klappen würde, wenn wir mit dem Gedanken ‚Hey, das hat schon mal funktioniert, das geht vielleicht noch mal’, an ein neues Lied herangehen würden. Und ich hoffe, dass ich, solange es uns als Band gibt oder so lange ich Musik mache, Liebeslieder schreiben werde, ich mag Liebeslieder! Wir sind damals auch angetreten, um charmant zu sein und hoffentlich ist das auch weiterhin so, auch wenn wir alte Säcke sind (lacht).“ 

Zum Thema Liebe und Liebeslieder – du hast in einem Interview gesagt: „Mit 24 singt man anders über die Liebe als mit 44. Mit 24 will man entdecken, mit 44 will man bewahren.“ Kannst du das näher erläutern?

„Das war etwas schade, dass der Redakteur ‚bewahren’ geschrieben hat, ich habe eigentlich ‚vertiefen’ gesagt. Früher habe ich öfter nach diesem aufgeregten ‚Ahhhhhhh’-Gefühl gesucht, jetzt möchte ich einen Menschen näher kennen lernen und eine andere Tiefe in einer Beziehung haben. ‚Bewahren’ hat irgendwie etwas Mutloses…“

Im Song „Brett vorm Herz“ heißt es unter anderem „Ich bin allein, ich komm nicht an […] doch ich hab Angst vorm Glück […] verlieren verboten“. Würdest du sagen, dass du angekommen bist? Und bezogen worauf hast du Angst zu verlieren?

„Wenn man viel unterwegs ist, viele Interviews gibt und sich mit dem Drumherum beschäftigt, das mit dem Musikmachen an sich nichts zu tun hat, sehe ich eine Gefahr darin, dass wir uns verlieren könnten, wenn dieses Drumherum überhand nimmt. Wir möchten natürlich, dass die Leute mitbekommen, dass neue Musik von uns kommt, es ist aber immer ein Abwägen; das Musikmachen an sich sollte noch im Fokus stehen. Das Gefühl, ob ich angekommen bin, ist sehr moment- und situationsabhängig. Manchmal passt einfach alles und an anderen Tagen denke ich ‚Scheiße, irgendwie nicht’. Ich weiß gar nicht so genau, wie ich es mir vorstelle, endgültig angekommen zu sein, ob ich als alter Mann auf einer Bank sitze, mit einem fetten Joint in der Hand…? (lacht)

Wer weiß… Du hast ganze 12 Jahre nach der Bandgründung erst damit angefangen, Gesangsunterricht zu nehmen; arbeitet man auch nach 20 Jahren noch an sich? Auch im Hinblick auf die Technik?

„Ich merke, dass ich Probleme mit der Stimme kriege, wenn ich es nicht mache. Und ich würde auch mal sagen, dass bei uns technisch gesehen noch viel Luft nach oben ist (lacht).“

Ihr werdet oft als „Berufsjugendliche“ oder „Jungs-Männer“ bezeichnet. Welche guten Eigenschaften aus deiner Jugend hast du dir bewahrt und von welchen schlechten hast du dich verabschiedet?

„Ich bin froh, dass es nach wie vor so ist, dass, wenn wir mit der Band unterwegs sind, so wahnsinnig pubertär sein können; das Humorniveau sinkt dann sehr schnell sehr tief (lacht). Das macht total Spaß, weil man so befreit ist, das mag ich mir auch weiterhin bewahren. Dann habe ich auf jeden Fall eine kindliche Freude beim Thema Fußball behalten. Wenn ich weiß, dass abends ein Spiel ist, freue ich mich den ganzen Tag. Froh bin ich, dass ich nicht mehr von jedem gemocht werden will, das war früher so, das war echt anstrengend. Außerdem bin ich froh, dass ich nicht mehr so nervös bin wie früher – vor Konzerten, vor Fernsehsendungen, ich war immer fix und fertig...“

Thema Konzerte: 2010 seit ihr während der Fußball-WM auf der Modemesse Bread & Butter hier in Berlin aufgetreten, das Publikum war vermutlich schon ein anderes als ihr es gewohnt seid, oder? Hast du den Auftritt noch im Kopf?

„Ich kann mich noch erinnern, dass es schon ein bisschen skurril war, dass wir auf einer Modemesse auftreten, ich bin jetzt nicht unbedingt der größte Styler (lacht)…“

Lässig würde ich es nennen…

(lacht) Vielen Dank… Aber es war lustig, wir haben ein bisschen mit unseren Outfits gespielt und hatten quasi den letzten Schrei an; die Leute haben unsere Ironie auf jeden Fall verstanden. Ich hab’s als spezielles Konzert in Erinnerung, mit einer guten Stimmung!“

Eine gute Stimmung herrschte bei dir wohl auch, als damals „Ich, Roque“ das erste Mal auf der Wiesn gespielt worden ist und du gleich vor Begeisterung mit nacktem Oberkörper die Bühne gestürmt hast? Kommen solche Reaktionen immer noch vor?

„Die Begeisterung auf jeden Fall! Als wir im Sommer auf dem Deichbrand Festival ‚Wunder fragen nicht’ gespielt haben, hat eine Gruppe angefangen, sich hinzusetzen und Ruderbewegungen zu machen. Das hat nacheinander alle angesteckt, bis der ganze Platz mit tausenden von Menschen diese Bewegung gemacht hat, das war ein krasses Bild und so eine schöne Stimmung!“

Im November stehen neue Konzerte an, ihr geht auf Tour. Was erwartet ihr?

„Wir spielen natürlich zum ersten Mal Lieder von der neuen Platte und ich bin sehr gespannt, wie es den Leuten taugt. Eine kleine Angst von mir ist, dass sie irgendwann keine neuen Lieder mehr hören wollen, sondern nur die alten, aber eigentlich bin ich total zuversichtlich. Es sind ein paar sehr schöne Songs dabei, die auch sehr emotional sind und deshalb hoffe ich, dass alle Bock drauf haben!“

Viel Erfolg und vielen Dank für das Interview!

Kristina Arens