„Es war ein Risiko“

  /  28.03.2014

Am 28. März 2014 erschien Milows – Jonathan Vandenbroeks – viertes Album „Silver Linings“. Im Interview erklärt der Belgier, worum es geht, erzählt von seiner Auszeit in Los Angeles, erörtert, warum er eigentlich ein Ja-Sager ist und gibt sich außerdem sehr nostalgisch…

Jonathan Vandenbroek aka Milow

Redakteurin Kristina Arens mit Milow

Milow ist zurück – mit seinem vierten Album, hierzulande seinem dritten, mit dem Titel „Silver Linings“. Der sympathische Sänger, der zwei Jahre nichts von sich hören ließ, holt das nun wieder auf und berichtet im Interview in Berlin von seiner aktuellen Gefühlslage, Risikobereitschaft, Hoffung, Ritualen und warum er sich am Abend ausnahmsweise mal in Schale schmeißt.

Nachdem du seit 2009 mehr oder weniger ständig unterwegs warst, hast du dir Anfang 2012 eine Auszeit genommen und bist nach Los Angeles gezogen. Wie fühlt es sich an, nun zurück zu sein?


„Es fühlt sich wirklich, wirklich gut an. So kurz vor der Veröffentlichung eines neuen Albums fühlt man immer einen Mix aus Stolz und Stress. Ich habe so lange an einigen sehr persönlichen Songs geschrieben und wenn das Publikum nun sagen würde ‚Hmm, naja, so mittel’ wäre es ziemlich schwierig, das einfach wegzustecken und sich zu denken, ‚Ok, dann eben beim nächsten Mal’, eben weil diese Lieder so persönlich sind. An ‚Silver Linings’ habe ich länger gearbeitet als an den vorherigen und ich wusste, es ist ein Risiko, eine Zeit lang von der Bildfläche zu verschwinden, deshalb freut es mich umso mehr, dass ich während der letzten Wochen gemerkt habe, dass mich die Leute nicht vergessen haben. Und es ist schön, nicht noch einmal bei Null anfangen zu müssen – ich habe mehr oder weniger vier Jahre die gleichen Interviews gegeben, weil ich ein Newcomer war, und klar versucht man, das Ganze interessant zu halten (lacht). Aber jetzt stelle ich fest, dass die Gespräche wieder richtig Spaß machen. Hattest du denn Zeit, ins Album reinzuhören?

Klar! Und es gefällt mir sehr gut, auch – wie du schon sagtest – weil es so persönlich ist und diesen Mix aus Traurigkeit, Sentimentalität und Hoffnung hat. Womit wir auch bei deiner Single „We must be crazy“ wären. Ich habe das Video angeschaut, in dem es um ein Paar geht, dessen Kinderwunsch nicht erfüllt wird und sich dann ein Roboterbaby baut…

„Und wie hast du es empfunden?“

Traurig und etwas verstörend… Im ARD Morgenmagazin hast du gesagt, dass es aber auch hier darum geht, selbst in ausweglosen Situationen Licht am Ende des Tunnels zu sehen…

„Genau. Ich fand es total interessant, die Reaktionen auch bei Facebook und Co. zu beobachten – anfangs haben viele geschrieben, dass das Video ein unbehagliches Gefühl auslöst, dass es, wie du sagst, etwas verstörend ist, aber wenn man es sich öfter anschaut, sieht man auch die Hoffnung darin. Die Geschichte ist natürlich reine Fiktion, es geht eher im übertragenden Sinn darum, eine Lösung zu finden, so bizarr sie in dem Video auch sein mag. Mein Ziel war es, dass die Menschen darüber sprechen. Als ich es meinen Freunden gezeigt habe, wollten es einige gar nicht zu Ende ansehen, weil es ihnen zu traurig war. Aber das ist mir lieber, als wenn jemandem meine Arbeit gleichgültig wäre.“

Du hast mit 17/18 Jahren schon mal für rund ein Jahr in Südkalifornien gelebt. Hast du dich ein wenig in deine Jugend zurück versetzt gefühlt, als du vor zwei Jahren dann wieder dorthin gezogen bist?

„Anfang 2012 hatte ich das Gefühl, mal raus zu müssen, Abstand zu Europa zu gewinnen und als ich überlegt habe, wohin ich gehen könnte, war ziemlich schnell klar: L.A. Ich hatte damals so eine tolle Zeit in San Diego, habe dort viele Freunde gefunden und es spielte auf jeden Fall etwas Nostalgie mit in meine Entscheidung hinein.“  

Kürzlich hast du mal gesagt, dass du es sehr genossen hast, wieder der „Underdog“ zu sein und du dich in den kleinen Clubs, wo du während deiner Zeit in Kalifornien gespielt hast, sehr wohl gefühlt hast. Wenn du die Zeit so sehr genossen hast, wann und warum war der Punkt erreicht, an dem du wusstest, du willst zurück?

„Das war wie eine Art Bogen, Ende 2011 habe ich meine längste Tour beendet und habe mir vorgenommen, erst einmal Pause zu machen – im Endeffekt hat es drei Wochen gedauert und ich stand wieder auf der Bühne (lacht). Ich habe diese rund 50 kleineren Auftritte wirklich genossen, bis ich im Juli als Support für einige andere Künstler unterwegs war, da habe ich festgestellt: Ich möchte das neue Album fertig schreiben und dann ist es Zeit, zurück nach Europa zu fliegen. Irgendwie ist es ja immer so, dass man sich anfangs total auf etwas freut, zum Beispiel auf die Festival Tour, und am Ende wünscht man sich, endlich mal wieder im Club spielen zu können...“

Das Gefühl, etwas zu bereuen, weil man es nicht getan hat, gehört für dich zu den schlimmsten, weshalb du zu sehr vielen Dingen „Ja“ sagst, stimmt das? Gibt es denn trotzdem etwas, dem du nie zustimmen würdest?

„Ich habe die letzten paar Jahre mal ein wenig Revue passieren lassen – als ich 2009 in Deutschland angefangen habe, war ich der Newcomer, in meiner Heimat Belgien war ich aber schon seit 2003 als Milow unterwegs; ich war zwar noch Student und Barkeeper, aber die Musik war schon damals ein sehr wichtiger Bereich für mich. Es hat ziemlich lange gedauert bis zu meinem Durchbruch und als es dann so weit war, habe ich zu allen Einladungen ‚Ja’ gesagt, was auf Dauer wirklich anstrengend war. Mittlerweile habe ich gelernt, dass es okay ist, auch mal Nein zu sagen (lacht).“

Du wurdest vor einiger Zeit, 2010, mal gefragt, wie man sich die letzten fünf Minuten vor einem Konzert vorstellen kann: Ihr habt das Ritual, eine Best of 70s“-CD zu hören, mitzusingen und ein Glas Rum zu trinken. Macht ihr das immer noch so?


(lacht) Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Wenn man auf Tour ist, macht tagsüber oft jeder sein eigenes Ding, deshalb ist es wichtig, dass vor einem Auftritt noch einmal alle zusammen kommen. Ich mache zum Beispiel keine Warm-up Übungen, aber wir hören dann gemeinsam Musik, singen… um sich mental auf den Auftritt einzustellen. Und zu dem Glas Rum, ja, manchmal ist es auch ganz schön, sich gemeinsam noch mal einen Drink zu genehmigen, fürs Gemeinschaftsgefühl (lacht). Und wir ziehen uns vor Konzerten immer um – sozusagen als Metal Switch, um in den Stage-Modus zu kommen.“

Das heißt, du kleidest dich auf der Bühne anders als privat?

„Das nicht unbedingt, sowohl privat als auch auf der Bühne trage ich sehr entspannte, zeitlose Klamotten, Basics wie Jeans, Shirts… Ich will mich on Stage nicht verkleidet fühlen, deshalb mag ich Marken wie Levis, Converse, Nike – und nein, diese Marken sponsern mich nicht (lacht) – Labels, die es schon sehr lange gibt und die im Prinzip immer das gleiche machen, in immer neuen Variationen natürlich, und so ebenfalls zeitlos sind. Heute Abend bei der Echo-Verleihung werde ich aber ausnahmsweise mal einen Anzug tragen…“

Der letzte, sehr autobiographische, Song auf deinem Album heißt „My Mothers House“. Gibt es eine bestimmte, besonders schöne und eine konkrete schlechte Erinnerung an die Zeit, die du dort verbracht hast?

„Den Song habe ich ja geschrieben, weil meine Mum letztes Jahr 60 geworden ist und das Haus, in dem ich mit meinen beiden Brüdern und meiner Schwester aufgewachsen bin, aufgibt. Als Songwriter bin ich, glaube ich, nostalgischer als manch anderer (lacht) und ich wollte meine Zeit dort einfach gerne für immer festhalten. Es geht also eher um die gesamte Zeit, in der ich viele schöne und auch traurige Erfahrungen gemacht habe.“

Wir haben unsere Leser über Facebook und Twitter aufgerufen, Fragen zu stellen…

„Jaaa, das habe ich gesehen, jetzt bin ich neugierig! Haben sie Fragen gestellt?“

Haben sie! Und die erste hast du gerade schon halb beantwortet: Facebook, Twitter, Instragram – inwieweit verfolgst du alle Posts und Kommentare?

„Ich versuche wirklich, alles zu lesen. Manchmal ist es etwas schwierig am Ball zu bleiben, wenn ich viel unterwegs bin und Termine habe. Aber ich mag es total, direktes, ehrliches Feedback über diese Kanäle zu bekommen, wie zum Video zu ‚We must be crazy’, worüber wir ja schon gesprochen haben. Facebook und Co. sind eine tolle Möglichkeit, mit seinen Fans in Kontakt zu bleiben.“

Wie verbringst du deine Zeit, wenn du in anderen Städten unterwegs, aber nicht mit Interviews, Konzerten und Co. beschäftigt bist?

„Meistens sind die Tage so durchgeplant, dass wenig Zeit bleibt, aber an einem Tag wie heute zum Beispiel würde ich einfach in ein Taxi steigen, in irgendeine coole Ecke fahren, Kreuzberg oder Mitte beispielsweise, mit Musik in meinen Ohren spazieren gehen und es genießen, nichts zu tun. Ansonsten das Übliche, Leute treffen, Schlafen, einfach ein wenig runterkommen…“

Eine Leserin hat gefragt, ob du immer noch deutsche Lieblingswörter sammelst? Welches ist es heute?

(lacht) Bei Konzerten sage ich am Anfang manchmal mein deutsches Lieblingswort des Tages; ‚Rundfunk’ ist eines davon. Heute… [schaut sich suchend nach geschriebenen Worten um] vielleicht ‚Weltschmerz’. Ich mag dieses Wort, weil man es nicht wirklich übersetzen kann.“

[Bei der Echo-Verleihung hat Milow den Gewinner in der Kategorie „Volkstümliche Musik“ verkündet und „volkstümlich“ zum Lieblingswort des Tages deklariert.]


Wenn du unterwegs bist, sei es im Urlaub oder für einen längeren Aufenthalt wie kürzlich in Kalifornien – was darf (im Koffer) nicht fehlen?

„Ich komme mit ziemlich wenig aus – ein paar meiner Lieblingsklamotten, meine Gitarre natürlich, mein Laptop oder Handy, womit ich Songideen aufnehme, und das war’s eigentlich. Viel mehr hatte ich auch nicht mit in L.A.; auf viele Dinge, von denen man glaubt, man braucht sie unbedingt, wie einen Fernseher zum Beispiel, kann man auch gut verzichten.”

Es gibt eine Deluxe Version deines Albums, auf dem sich acht weitere Songs, allesamt Live-Versionen, finden. Wann, wo und warum wurden diese aufgenommen, wollte jemand wissen.

„Schön, dass du das ansprichst. 2012 habe ich angefangen, neue Songs zu schreiben, letztes Jahr habe ich dann aber noch einmal bei Null angefangen. Ende 2012 und Ende letzten Jahres habe ich je eine Akustik-Tour gespielt, währenddessen wurden diese Lieder aufgenommen; ich mag es, dass es sie nur als Live-Aufnahme und nicht als Studioversion gibt.“

Viel Erfolg mit „Silver Linings“ und vielen Dank für das Interview!

Kristina Arens

Links:
www.milow.com