„Es ist nicht alles Schwarz oder Weiß“

  /  24.10.2018

Die Akkorde, die George Ezra für „Budapest“ benutzte, waren die ersten drei, die er mit 14 gelernt hatte. Und mit genau diesem Lied wurde er zum bekannten Singer-Songwriter. Im Interview geht’s um verwirrende Zeiten, sein Botschafterdasein für die Mental Health-Organisation Mind und Album Nummer 3.

George Ezra

George Ezra mit Redakteurin Kristina Arens

Mit seinem Song „Budapest“ erlangte George Ezra im Jahr 2014 große Bekanntheit – zu seiner eigenen Überraschung. Nach seinem ersten Album „Wanted on voyage“ folgte in diesem Jahr das zweite: „Staying at Tamara’s“, benannt nach einer Airbnb-Gastgeberin, bei der er während seiner Europareise auf der Suche nach Inspiration und Beschäftigung zwischen den zwei Alben in Barcelona gewohnt hatte. Nachdem der 25-Jährige nach einem Konzert in Kopenhagen die Nacht im Bus nach Berlin verbracht hat, um dort am Abend sein nächstes Konzert zu spielen, war zwischendurch noch Zeit für ein ehrlich-sympathisches Interview über Social Media, Verwirrung und die eigene Komfortzone.

George, du hattest als Kind nie große Träume, hast du mal gesagt – wie sieht es jetzt aus?

„Ich habe Träume, aber die sind immer noch recht klein. Und ich bin mir manchmal auch nicht sicher, was ich selbst von ihnen halten soll (grinst). Ich träume hin und wieder davon, wieder dort zu leben, wo ich aufgewachsen bin... Wobei ich eigentlich versuche, generell nicht zu viel an die Zukunft zu denken. Ich versuche mehr im Jetzt und Hier zu leben – und das soll jetzt gar nicht abgedroschen nach ‚Lebe den Moment‘ klingen (lacht).  Mit dem Erfolg des ersten Albums und jetzt mit dem zweiten lerne ich die ganze Zeit dazu – man weiß nie, was passiert, also ist es irgendwie überflüssig, sich Sorgen oder Gedanken zu machen. Zumindest versuche ich, so zu denken.“

Du bist ja großer Bob Dylan-Fan und findest es manchmal schade, dass man so wenig über ihn als Person weiß, dass er ausschließlich seine Musik in den Fokus stellt. Lässt du deine Fans gerne etwas über dich persönlich erfahren?


„Ja, ich rede sehr viel auf der Bühne (lacht)! Ich erzähle gerne Geschichten über mich, auch um meine Songs in einen Zusammenhang zu bringen. Ich glaube, das hilft, um der Musik einen Sinn zu geben. Kontext ist mir wichtig.“

Deine Storys und Songs kommen sehr authentisch und ehrlich rüber. Ist das so? Ich habe ein Zitat von dir gefunden, das lautet: „Eine gute Story muss nicht wahr sein, sie kann auch eine große Lüge sein.“

„Auf Englisch gibt es die Redewendung ‚Don’t let the truth come in the way of a good story’. Ehrlichkeit ist wichtig, ich kann auch gar nicht lügen, das sieht man mir direkt an (lacht). Man sollte sich nur nicht in zu vielen Details verlieren. Man kann einer Geschichte ganz schnell die ‚Magie‘ nehmen, wenn man jede Kleinigkeit erzählt. Wenn es der Story nicht hilft, muss man nicht einfließen lassen, wann der Wecker morgens geklingelt hat, wie lange man dann noch im Bett gelegen hat etc. Das lenkt nur ab.”

Deine Erfolgsstory hat dich ja selbst überrascht. Vielleicht auch deshalb sind psychische Gesundheit und Angstzustände ein Thema bei dir. Hast du mittlerweile mehr zu dir selbst gefunden?


„Es geht mir nach und nach immer ein kleines Stückchen besser. Einfach, weil ich akzeptiere, dass es eine verwirrende Zeit ist. Ich fühle mich noch nicht erwachsen, bin aber auch kein Kind mehr…“

Da musste ich gerade an den Britney Spears-Song „I’m not a girl not yet a woman“ denken…

(lacht) Ja, wirklich, ganz genau! Vielleicht muss ich genau das einfach als etwas Gutes sehen und nicht als verwirrenden Zwischenzustand. Vielleicht muss ich stattdessen das Beste aus beiden ‚Welten‘ sehen. Ich hinterfrage mich einfach viel zu viel…“

Wie hast du es geschafft, den Schalter umzulegen und für dein zweites Album „Staying at Tamara’s“ nicht nur traurige Songs zu schreiben?


„Ich glaube, das funktioniert, weil alles, was mit psychischer Gesundheit zu tun hat, nicht nur Schwarz oder Weiß ist. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen, aber immer, wenn ich mich – ich benutze mal Wörter wie verloren oder verwirrt – fühlte, war und ist das Songschreiben eine Art Gegenmittel für mich.“

Denkst du jetzt schon an die Zeit nach dem aktuellen zweiten und vor einem dritten Album?

„Das tue ich tatsächlich. Was ich schon sicher weiß, ist, dass ich nicht wieder so lange brauchen möchte. Die Zeit zwischen dem ersten und zweiten Album war für mich viel zu lang. Ich bin gerne beschäftigt und Teil von etwas. Ich hoffe also, dass ich ein drittes Album schneller veröffentlichen kann. Ich habe auch schon ein paar Ideen, aber noch keine fertigen Songs...“ 

Geht es zur Inspiration denn wieder auf Reise? Für dein zweites Album warst du neben Barcelona unter anderem auch in Norfolk in einer kleinen Hütte, völlig ohne Strom oder Elektrizität. Würdest du so etwas noch einmal machen? Hat man nicht irgendwann düstere Gedanken, wenn man zehn Tage alleine ist?

„Ich würde das super gerne noch mal machen! Die erste Nacht war ziemlich unheimlich! Als gegen 23 Uhr endlich die Sonne unterging, war es plötzlich komplett dunkel, alles war schwarz, ich habe ein Jaulen und Heulen gehört, Geraschel in den Büschen… Aber nach der ersten Nacht habe ich es geliebt! Ich denke, das sollte jeder mal gemacht haben. Man weiß danach viel mehr zu schätzen, was man hat und man konzentriert sich ganz auf sich, ohne Ablenkungen. Das kann auch heilsam sein. Wobei ich ein Radio mit ziemlich vielen Batterien dabei hatte, ich habe also viel Gerede gehört, nicht nur meine innere Stimme (lacht)…“

Du warst dort dann vermutlich auch ohne Internet? Wie wichtig ist dir die Präsenz auf Social Media?


„Ich glaube, Social Media ist nicht unbedingt gesund für mich. Es macht einfach süchtig und das ist das Gefährliche. Wenn ich sagen könnte, dass alle meine Freunde und Bekannten eine gesunde Beziehung zum Thema Social Media hätten… Aber die hat niemand. Privat nutze ich Instagram auch nicht mehr, beruflich ja und ich schaue auch jeden Tag rein, habe die App aber nicht mehr auf meinem Handy, sondern nur noch auf meinem iPad, das ich nicht ständig mit mir herumtrage. Und ich habe das Gefühl, das macht mich wesentlich glücklicher.“

In deinem Song „Only a human” lauten ein paar Zeilen „Might fuck it up, but you can’t blame yourself, no, you’re just human, only a human” [dt.: “Du könntest scheitern, aber du kannst dir nicht selbst die Schuld geben, nein, du bist nur menschlich, nur ein Mensch”]. Sind das Gedanken, die du hast, wenn der Druck oder Erwartungen mal zu groß werden?

„Es geht dabei tatsächlich weniger um meinen Job, eher um das Leben an sich. Uns werden so viele Möglichkeiten geboten, es ist aber so einfach, sich Entschuldigungen zu überlegen, um Dinge nicht zu tun, gar nicht erst zu versuchen. ‚Jetzt ist nicht die richtige Zeit, nächstes Jahr dann‘, ‚Gerade kann ich es mir nicht leisten‘… Das mag alles wahr sein, aber warum nicht einfach mal ausprobieren? Und die eigene Komfortzone verlassen. Auf Tour mache ich das immer wieder. Und nach und nach wird die Bühne zu meiner Komfortzone.”

Während der aktuellen Tour steht dein jüngerer Bruder Ethan aka Ten Tonnes als Vorband auf der Bühne. Wie kam es dazu und gibt’s kein Konkurrenzdenken?

(lacht) Nein, Konkurrenzgedanken gibt es überhaupt nicht! Wir hatten immer schon ein gutes Verhältnis und fanden die Vorstellung, zusammen auf Tour zu gehen, großartig. Als wir also die aktuelle Tour geplant haben, meine bislang größte, war schnell klar, dass er mitkommt. Er hat schon als Teenager angefangen, Musik zu machen, ernsthaft verfolgt er das Ganze vielleicht so seit drei Jahren. Als er erzählt hat, dass er Musiker werden möchte, habe ich ihm meine Hilfe angeboten, aber er möchte das lieber alleine durchziehen. Dass wir nun zusammen auf Tour sind, ist deshalb umso schöner.“

Neben deiner Musik hast du von Anfang bis Mitte dieses Jahres die Podcast-Reihe „George Ezra & Friends“ gemacht, in der du unter anderem mit Promis wie Elton John oder Sam Smith gesprochen hast. Gibt’s Pläne für weitere Episoden?

„Jaaa, ich habe schon sieben Episoden aufgenommen für eine zweite Staffel. Namen kann ich nur leider noch nicht verraten...“ 

Du bist außerdem Botschafter der Mental Health-Charity-Organisation Mind. Wie sieht deine Arbeit dort aus?

„Genau diese Frage habe ich der Organisation auch als erstes gestellt (lacht). Ich habe angefangen, bei meinen Shows Spenden zu sammeln und dann letztes Jahr kurz vor Weihnachten einen Gig für sie gespielt – zusammen mit ein paar Freunden. Kurz danach wurde ich gefragt, ob ich nicht Botschafter für Mind sein und genau so weiter auf das Thema Mental Health aufmerksam machen möchte wie bislang. Ich weiß weitaus weniger über psychische Gesundheit als viele andere und ich denke, es ist extrem wichtig, dass es diese Leute mit großem Wissen gibt – sondern wären wir wohl ziemlich am Ar***.“

Vielen Dank fürs Interview und viel Erfolg weiterhin!

Kristina Arens