„Boys, Noise and Toys!“

  /  15.06.2015

Die Schauspieler Samuel L. Jackson und Mehmet Kurtulus sind gemeinsam im Kinofilm „Big Game“ zu sehen und reden im Interview über Eindimensionalität, (Un)Sicherheit, E.T.-Momente, Versagensängste und Verwechslungen.

Filmszenen mit Samuel L. Jackson und Mehmet Kurtulus aus "Big Game"

Auf dem Toronto International Film Festival feierte der Film des finnischen Regisseurs Jalmari Helander bereits 2014 Premiere, ab dem 18. Juni 2015 ist „Big Game“ auch in Deutschland in den Kinos zu sehen. Mit Schauspielern und Schauspielerinnen wie Felicity Huffman, Victor Garber und Samuel L. Jackson befindet sich Ex-„Tatort“-Kommissar Mehmet Kurtulus in bester Hollywood-Gesellschaft. Sowohl er als auch Jackson gaben sich in Berlin beim Interview die Ehre…

Herr Kurtulus, Sie verkörpern im Film den Terroristen Hazar, der Jagd auf den Präsidenten, gespielt von Samuel L. Jackson, macht. Was hat Sie an dieser, provokant formuliert, recht eindimensionalen Rolle gereizt – abgesehen davon, dass Sie damit Ihr Hollywood-Debüt feiern?

„Die Eindimensionalität liegt hier in der Sache: Als ‚Baddy’ hatte ich eine einzige Aufgabe – Mr. Präsident in Schwierigkeiten zu bringen. Die Aufgabe eines Schauspielers ist es dann, diesem grauen, eindimensionalen Herrn ein bisschen Farbe zu verleihen, das heißt innerhalb des abgesteckten Terrains etwas Interessantes zu schaffen, darin liegt die Herausforderung. Wenn ich kurz eine Brücke zu Christoph Waltz schlagen darf – ihn hat es wahrscheinlich auch nicht direkt gereizt, einen Nazi Oberst zu spielen, aber er hat uns Hans Landa vorgestellt...“

Sie sind 2012 nach Los Angeles gezogen, um eine internationale Karriere zu starten, warum versuchen das nicht mehr deutsche Schauspieler?

„Unser Beruf hat viel mit einem Casino zu tun, wir spielen mit verschiedenen Chips: Arbeit, Schweiß, Enttäuschung und einem Quäntchen Glück. Damit muss man umgehen können. Viele sehen natürlich zunächst das, was wir hier vor der Tür haben. In Berlin wird zurzeit ‚Homeland’ gedreht, Oliver Stone war für ‚Snowden’ gerade in München... L.A. ist meiner Meinung nach aber der Nabel der Schauspielwelt, ein El Dorado an Fortbildungsmöglichkeiten. Viele denken, Tänzer tanzen den ganzen Tag, Musiker spielen und wir Schauspieler sitzen nur in der Kneipe, weil wir ja das Leben studieren, so einfach ist es natürlich nicht. Auch wenn das ein sehr schöner Ort ist…(lacht).“

Wie gehen Sie mit der Unsicherheit um, der Frage „Wann kommt die nächste Rolle?“?

„Wenn man eine Hauptrolle hat, dreht man schon mal 30 bis 40 Tage am Stück, manchmal ist man aber auch froh, einen Drehtag im Monat zu haben. Ich glaube, ich habe das aber relativ früh erkannt. Nach dem Abitur bin ich direkt in das Schauspielleben eingetreten, hatte also nie einen festen Beruf und habe dementsprechend dieses Sicherheitsgefühl nie erlebt. Sicherheit ist einerseits etwas Schönes, künstlerisch gesehen ist sie aber auch etwas Betäubendes. Kreativität lebt häufig von Unsicherheit. Der ‚Tatort’ beispielsweise hat mir eine zeitlang Sicherheit geboten, mir viel Aufmerksamkeit gebracht, war aber eher ein Meilenstein auf meinem Weg und nicht das Ziel.“

„Big Game“ spielt zwar in Finnland, wurde aber in Bayern gedreht…

„Richtig. Die Dreharbeiten haben teilweise in 2.500 Meter Höhe, nahe der Zuspitze, stattgefunden, das heißt, man kam häufig am nächsten Tag zum Set und es hatte geschneit. In der unmittelbaren Szene vorher war dem aber nicht so, also mussten irgendwelche großen Brenner besorgt werden, um den Schnee weg zu schmelzen. Das Team hat da einiges geleistet…“

Was zeichnet den Film aus?

„Es gibt so schöne E.T.-Momente. Der 13-jährige Oskari muss ja, wie es die Tradition verlangt, eine Nacht alleine in den Bergen verbringen und ein Tier erlegen, um zu beweisen, dass er ein Mann ist. Schließlich findet er den angeschlagenen Präsidenten, Samuel L. Jackson, dessen Flugzeug Opfer eines Terroranschlags geworden ist. Oskari zeigt sich aber wenig beeindruckt, schließlich hat er eine Mission zu erfüllen. Als der Präsident dann sagt ‚Ich hätte die Macht, eine ganze Armee in die Welt zu schicken und jetzt kann ich mir noch nicht mal eine Pizza bestellen’, das sind so wahre, ehrliche Momente.“

Mr. Jackson, Sie spielen in „Big Game“ wie einige andere Schauspieler vor Ihnen den Präsident der Vereinigten Staaten. Was zeichnet Ihre Rolle aus?

„Das Ungewöhnliche ist, dass sich eine eigentlich so mächtige Person in einer Situation wieder findet, in der sie plötzlich komplett machtlos und auf die Hilfe eines 13-Jährigen angewiesen ist.“

Welche körperlichen Herausforderungen brachte der Dreh mit sich?

„Es gibt eine Szene, in der ich in eine Kühltruhe verfrachtet werde und an einem Helikopter baumle, ich hatte das Gefühl, ich sollte gekillt werden. [Zeigt seine Schulter] Mir ist sogar ein Knochen gebrochen.“

Mögen Sie solche Herausforderungen?

„Gar nicht! Wir machen Dinge, die gefährlich aussehen, es aber nicht sein sollten. Ich verstehe auch Leute nicht, die beispielsweise Fallschirmspringen… Warum sollte ich aus einem komplett funktionstüchtigen Flieger hüpfen?! Freiwillig (lacht)!?“

Oskari hat am Anfang große Versagensängste, kennen Sie dieses Gefühl?

„Man kann Niederlagen entweder als Versagen verbuchen oder man sieht sie als Stolpersteine. Wenn ein junger Schauspieler zu einem Vorsprechen geht und die Rolle nicht bekommt, hat er schnell das Gefühl, versagt zu haben. Man muss sich ein dickes Fell zulegen. Ich habe es immer so gesehen: Wenn ich den Job nicht bekommen habe, haben mir die Leute leid getan, die mich nicht genommen haben, sie verpassten was!“

Im Film geht es auch um Verrat – haben Sie damit im Laufe ihrer Karriere schon mal Erfahrung machen müssen?

„Natürlich! Die Menschen lügen die ganze Zeit. Ich gebe dir ein Beispiel: Ich habe mal ein Buch geschrieben und es einem Produzenten gezeigt, der ziemlich begeistert war und die Rechte gekauft hat. Den Film hat er dann aber letztlich mit einem anderen Schauspieler gedreht. Er hätte mich nehmen sollen, dann wäre es auch ein Erfolg geworden…“

Generell sind Sie hauptsächlich im Bereich Action unterwegs. Ihr Genre?

„Klar, ich bin ein Mann! Boys, Noise and Toys! Schon als Kind wollte ich entweder der Held sein oder auf den Held schießen…“

Sie haben, wie kürzlich für „The Hateful Eight“, bereits öfter mit Quentin Tarantino zusammengearbeitet – sagen Sie bei ihm direkt „Ja“ oder lesen Sie schon erst noch das Script?

„Wenn Quentin anruft? Das Script erst lesen? Warum? Ich weiß, es wird super! Wir haben diesen Film gerade erst zu Ende gedreht, eigentlich wollte er ihn gar nicht machen. Er hat das Script vorher drei, vier Leuten gezeigt und einer hat Teile online gestellt. Dann haben wir in einem Theater in L.A. eine öffentliche Lesung veranstaltet. Im Anschluss: zehn Minuten Standing Ovations. Quentin musste den Film also doch drehen. Und wir hatten eine super Zeit am Set! So gut, dass es keiner bereuen würde, auch wenn der Film selbst nicht überragend geworden wäre. Wir schreiben uns alle immer noch jeden Tag ‚Ich vermisse dich so’, ‚Was machst du? Wo bist du und wann sehen wir uns?’ (lacht).“ 

Was ist das Besondere an der Arbeit mit Quentin Tarantino?

„Es ist außergewöhnlich, mit ihm zu arbeiten, erstens weil er einfach Quentin ist. Zweitens, weil keine elektronischen Geräte am Set erlaubt sind. Es sitzen also nicht alle in einem Raum und sind mit ihren Handys beschäftigt, sondern man unterhält sich, hat gemeinsam eine gute Zeit!“

Mit wem würden Sie ansonsten gerne mal zusammenarbeiten?  

„Ich achte nicht so sehr darauf, wer der Director ist, wenn das Script stimmt. Ich bin aber manchmal immer noch überrascht, wenn mich Größen der Branche (er)kennen. Dann gibt es aber auch wieder andere Erfahrungen: Ich war hier in Berlin in einem Restaurant und jemand dachte, ich sei Morgan Freeman, sogar als ich ihm ein Foto von ihm auf meinem Handy gezeigt und es neben mein Gesicht gehalten habe, er ließ nicht locker...“

Vielen Dank für das Interview!

Kristina Arens