„Herr Wolf, was steckt hinter dem Club Homeboy?“

  /  18.11.2015

Jürgen Wolf hat einen exklusiven Buying-Club ins Leben gerufen. Im Interview wird deutlich, dass es etwas Vergleichbares so bisher wohl noch nicht gegeben hat…

Jürgen Wolf

Die Marke Homeboy geht neue Wege. Jürgen Wolf hat einen Buying-Club für den textilen Fachhandel gegründet, in dem sich Händler in einer privilegierten Partnerschaft mit dem Label zusammenschließen. Im Interview erklärt Wolf die Hintergründe und Abläufe im Club Homeboy, welche Gegebenheiten ihn zur Gründung bewegt haben und zeigt die Vorteile auf, die sich für die Mitglieder ergeben. 

Herr Wolf, erklären Sie bitte kurz den Club Homeboy.

„Club Homeboy ist die simpelste Form der Zusammenarbeit zwischen einer Marke und dem Fachhändler. Multibrand-Fachhändler schließen sich in einer privilegierten Partnerschaft mit der Marke Homeboy zusammen und betreiben eine exklusive Buying-Group.“

Mit welchen Vorteilen für die Partner?

„Homeboy hat den nötigen Bekanntheitsgrad und keine finanziellen Fesseln, womit eine schlanke und zielgerichtete Organisation errichtet werden konnte, die eine einzigartige Schlagkraft zu entwickeln vermag. Eine direkte und damit auch vertikale Struktur kann die wichtigsten Erfolgsfaktoren Zeit und Kalkulation/Marge perfekt ausspielen. Während die Industrie im Schnitt 18 Monate von der Idee bis in den Laden benötigt, kann dies der Club Homeboy in einem Bruchteil der Zeit umsetzen, wodurch wir uns in der Geschwindigkeit an Zara und Co. annähern. Die Club-Mitglieder kaufen zum Herstellungspreis ein. Je höher die Stückzahlen, desto niedriger der Einkaufspreis. Dieser Vorteil geht direkt in die Marge des Mitgliedes ein.“ 

Findet so auch ein Erfahrungsaustausch zwischen den Clubmitgliedern statt? 

„Selbstverständlich. Eine Bündelung der Erfahrungen ist im heutigen Wettbewerb eine starke Waffe, die bislang so gut wie keinen Einsatz fand. Der Club Homeboy ist ein geschlossener Club und nur für eine kleine Anzahl von Mitgliedern. Händler mit mehreren Filialen, die sich strategisch auf einer gemeinsamen Wellenlänge befinden, in Bezug auf Markenangebot, Preislagen, Sale Mentalität, etc. und die sich in ihren Verkaufsgebieten so wenig wie möglich überschneiden. Damit wird eine ‚cleane Distribution‘ garantiert, die im Handel momentan kaum mehr zu finden ist. Kein Zalando, kein Amazon, keine Shopping-Clubs, kein Ebay.“

Wie hat man sich eine Kollektionserstellung für Clubmitglieder vorzustellen?

„Die Mitglieder treffen sich sechs Mal im Jahr und besprechen gemeinsam die Anforderungen an die Kollektion. Hier liegt die wahre Kompetenz des Händlers, weil er seine Kunden und ihre Bedürfnisse genau kennt. Wir diskutieren gemeinsam Trends und Markt. Diese Anforderungen werden mit dem Design-Team des Club Homeboy in Kollektionen umgesetzt. Das Team besteht aus hochkarätigen Designern, Künstlern, Grafikern. Alles erfahrene Profis, die eine jahrelange Begeisterung und Liebe für Homeboy eint. Beim nächsten Treffen werden die umgesetzten Muster gezeigt und von den Mitgliedern sofort geordert.“

Gibt es nicht zu große Unterschiede in so einer Gruppe, oder ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner das Ziel der Kollektionsentwicklung?

„Für den Club Homeboy spreche ich führende Multibrand-Händler an und die verfügen über sehr viele gemeinsame Nenner. Einer davon sind die Marken. Unschwer ist zu erkennen, dass alle die gleichen Labels führen. Die großen Systemanbieter haben überall ihre Shop-in-Shops platziert und dadurch eines der Hauptprobleme geschaffen: die Gleichmachung.“ 

Wie lange dauert es von der Order bis zur Auslieferung?

„Während die Industrie mindestens ein Jahr von der Idee bis zur Auslieferung braucht, schafft dies der Club Homeboy in einer deutlich kürzeren Zeit, die Lieferung erfolgt bereits nach acht Wochen. Wir liefern sechs Mal im Jahr, frei nach dem Motto: ‚Ready to wear’. Die berühmte Daunenjacke im Juli ist damit Geschichte. Die Auslieferung erfolgt direkt aus den Produktionsländern an das jeweilige Zentrallager des Mitgliedes. Vorteil: der Club Homeboy hält keine Lagerfläche vor, muss keine Mitarbeiter zahlen und bleibt dabei schlank, wodurch höhere Margen für die Mitglieder erzielbar sind. Das System Club Homeboy verzichtet auf den klassischen Vertrieb. Es entstehen keine Kosten für Messen, Außendienst, Vervielfältigung von Musterkollektionen, Showrooms etc. Die Verwaltungskosten sind ebenfalls sehr gering. Diese Einsparungen können direkt an die Club-Mitglieder weitergeben werden und vergrößern deren Marge.“ 

Soweit die Einsparungen. Aber letztendlich zählt das, was in der Kasse ist.

„Am Ende gibt es nur ein einziges Ziel: Wir alle wollen mit Bekleidung Geld verdienen. Im Club Homeboy verdient das Mitglied deutlich mehr, weil die Spanne zwischen Produktions- und Verkaufspreis an den Endverbraucher zu Gunsten des Händlers verschoben wird. Die Organisation des Club Homeboy erhält als Entlohnung 10% des vergebenen Brutto-Verkaufspreises als Club-Gebühr.“

Wie ist die Idee zum Club entstanden?

„Ich habe mir viele Monate den Markt angeschaut und sehr viele Gespräche geführt. Dann habe ich mich vor ein weißes Blatt gesetzt und versucht, all meine Erfahrung in ein super simples System zu gießen, dass in die Zeit passt. Mein Ziel war es, in dem doch derzeit reiflich aufgewühlten Textil-Business zum Multibrand-Händler durchzustoßen, den ich, nach wie vor, für die spannendste Handelsform halte. Das Internet und die Vertikalisierungswelle der Industrie haben den Handelsmarkt total verändert. Im Internet bestimmen Algorithmen den Sale. Was sich zu langsam dreht, wird reduziert. Eine einfache Logik, die aber eine verheerende Wirkung zeigt, weil der Endverbraucher inzwischen schon für ‚doof‘ gehalten wird, wenn er noch zum Originalpreis kauft. Der markeneigene Retail hat die Städte Europas zu einer Einöde verwandelt. Nur noch Vertikale und Marken, die ihr Heil im Vertikalen sehen. Das Ergebnis von beidem ermüdet den Endverbraucher und führt dazu, dass die Mode immer mehr aus dem Fokus der Menschen verschwindet.“

Derzeit ergeben sich aber noch ganz andere und zwar massive Veränderungen auch beim Endverbraucher…

„Wir, die alte Streetwear-Generation, werden älter und bleiben trotzdem aktiv. Vor allem gilt dies für diejenigen, die die 40 überschreiten oder bereits überschritten haben. Das verändert den Markt für die herkömmliche Menswear. Neue Fragen werden gestellt: Wo kaufen sie ein? Welche Marken kaufen sie? Der Fachhändler konzentriert sich, wohl aus alter Tradition, immer noch zu sehr auf den jungen Kunden, der aber mehr und mehr zu den Vertikalen abwandert und nur über eine unzureichende Markenaffinität verfügt.“

Was hat der Fachhandel mit seinen jungen Kunden von früher gemacht? 

„Als Mensch sind sie noch existent… und keiner hat sie persönlich in der Menswear-Abteilung der Herrenausstatter abgeliefert. Diese Kunden sind tief geprägt von der echten Streetwear und treffen auf einen Markt, der außer der klassischen Menswear nicht viel zu bieten hat. Genau hier hat meine private Begeisterung für die Mode wieder eingesetzt: Mein Sohn ist 23 Jahre alt. Ich bin 55 Jahre alt. Das Verwunderliche ist: Wir liegen in unserem modischen Verständnis nicht besonders weit auseinander. Ich sehe in einem Kapuzensweatshirt nicht doof aus, weil ich meine Wurzeln in der Streetwear-Bewegung habe. Klar, das mag nicht für alle gelten, aber für 45-Jährige ist das schon fast Usus. Für 35-Jährige sowieso. In den 80ern oder 90ern war dies komplett anders. Damals ging die Zielgruppe der Streetwear kaum über die 30 hinaus. Nur sind die heute halt auch zwischen 35 und 45. Mein Sohn sieht in einem Feinstrickpullover auch nicht doof aus, weil er ihn genauso wählt, wie er den Look gewöhnt ist. Ein Look, der von der Streetwear geprägt ist und seinen Ursprung in der Gründungsphase von Homeboy hat.“

Spricht Homeboy denn eine bestimmte Altersgruppe an?

„Nein! Homeboy spricht den Kern derer an, die in der Welt der Streetwear leben. Das fängt bei meinem Sohn an und hört bei mir auf. Es geht um die Einstellung. Nicht das Alter. Ich fühle mich ja auch nicht wie 55, sondern wie immer. Und genauso sind meine Interessen: all das, was ich in meinen 30ern auch gemacht habe. Und genauso geht es vielen. Wir sind viele!“

Streetwear als die Mutter der momentanen Mode?

„Ja! Und Homeboy wiederum ist eine der Mütter der Streetwear und gehört zu den drei ältesten Streetwear-Marken der Welt. Der Einfluss eben dieser hat die Jeanswear abgelöst. Der Rock ‘n Roll der Jeans-Revolution ist jetzt ins Altersheim eingezogen und von dort kommt er auch nicht mehr heraus. Selbst die heilige Pitti Uomo streckt ihre Fühler in Richtung Streetwear aus. 100 Gründe für mich, mit einem lauten ‚YEAH!’ eine Arschbombe zurück ins Becken der Fashion zu machen.“

Thema Abverkauf: Gibt es Richtlinien, wie die Kollektionen präsentiert und verkauft werden? Gibt es spezielle Schulungen? 

„Ich will nicht erst 50 Markenshops aufmachen müssen, um zu lernen, wie Einzelhandel funktioniert. Die Mitglieder sind absolute Top Profis auf diesem Gebiet. Im Club Homeboy haben wir immer das gleiche Ziel. So eine effiziente Zusammenarbeit kannte ich aus dem alten Zusammenspiel Industrie/Handel bisher gar nicht. Wir sehen uns im Club Homeboy als eine Gemeinschaft und die Verkäufer sind ein sehr wichtiger Teil davon. Ein Verkäufer braucht Informationen und Geschichten. Storys, um seinen Kunden zu begeistern, etwas bei ihm und nicht im Internet zu kaufen.“

Und diese Infos und Storys bekommt er?

„Neudeutsch ‚Storytelling’ wird in der Mode zu klein geschrieben. Geschichten kann aber nur der erzählen, der selber eine Geschichte hat. Hier setzt ein wichtiger Punkt an. Homeboy hat eine unglaublich große Geschichte. Wir haben in den 80ern junge Kunden mit einer völlig neuen Markenwelt abgeholt und dies klingt bis ins Jetzt nach. Fast jeder kennt die Marke. Jeder grinst, wenn er den Namen hört und viele sagen: ‚Von Homeboy hatte ich auch einiges‘. Solche starken Markenanker sind heute selten. Alle naselang wird eine andere Marke durch Instagram gehetzt und ist kurz danach wieder vergessen. Andere Marken haben ihre Bekanntheit auf einem Artikel begründet. Bei Homeboy waren es viele. Von der Coach Jacket über die Baggy, bis hin zu den Sweatshirt Reversed Hemden mit Flock-Print, entstanden Klassiker, die die Kids von heute wieder in den Clubs der Großstädte tragen. Gefunden im Keller, aus den Beständen der Väter oder ganz einfach bei Ebay.“ 

Eine perfekte Überleitung zum Thema Internet…

„Das Internet hat die Kunden mit einer Schwemme von Styles überspült. Es sind kaum mehr Moderichtungen auszumachen. Alles ist möglich. Dutzende von Looks sind gleichzeitig am Markt. Der Endverbraucher ist total überfordert und nur die modisch affinen Kunden finden noch mit Spaß ihren Weg. Die meisten bleiben auf der Strecke und verlieren ihren Spaß an der Mode. Eine Marke kann für den Endverbraucher einen Weg aufzeigen und ihm die Sicherheit verleihen, den ‚richtigen’ Style zu finden. Nur liegt das Problem der etablierten Marken darin, dass sie sich immer weiter vom Fachhandel lösen, der aber als Botschafter nicht unterschätzt werden sollte. Mit Homeboy will ich auch Geschichte und Geschichtenerzähler zusammenbringen. Was gibt es schöneres, als dem Kunden Face to Face gegenüber zu stehen? Der ganze Curated Shopping-Hype saugt Zahlen und pure Infos aus dem Menschen, die zu seinem ‚Wohl’ verwendet werden.“ 

Kann das ein Verkäufer im Laden besser? 

„Auf jeden Fall. Er kann auf die jeweilige Persönlichkeit eingehen, aber dazu braucht er Werkzeug und genau das geben wir ihm bei Homeboy in die Hand. Das Wir-Gefühl kann aber nur entstehen, wenn wir uns alle kennen. Das ist der Grund, warum ich selbst zu jedem Kunden fahre und nicht nur mit dem Einkauf spreche, sondern vor allem auch mit dem Verkauf. Wir alle sitzen zusammen und erzählen uns die vielen Geschichten, die in all diesen Jahren um Homeboy herum entstanden sind. Und das sind viele. Was nach Lagerfeuer-Mentalität klingt, ist das Fundament unserer Leidenschaft für die Textilbranche. Daran wollen alle teilhaben, aber sie wird nicht mehr gelebt. Es werden keine Geschichten mehr erzählt. Das hat unsere Spezies über die Jahrtausende voran gebracht. Vor der Schrift war das Wort und dies hat unsere Kultur von Generation zu  Generation überliefert. Kein Internet vermag dies von jetzt auf sofort aus unserem Stammhirn zu verbannen.“

Besten Dank für das Interview und viel Erfolg!

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